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Und zeigte der, wie er zerfetzt fort ward,

Der, wie verstümmelt: nicht wär’s zu vergleichen
Mit dieses neunten Schlundes Weis’ und Art.[1]

22
Ein Faß, von welchem Reif’ und Dauben weichen,

Ist nicht durchlöchert, wie hier Einer ging.
Durchhau’n vom Kinn bis zu Gesäß und Weichen,

25
Dem zwischen beiden Beinen abwärts hing[2]

Das Eingeweide, bis wo sich die Speise
Wandelt in Koth, und offen das Geschling.

28
Ich schaut’ ihn an und er mich gleicher Weise,

Dann riß er mit der Hand die Brust sich auf,
Und sprach zu mir: „Sieh, wie ich mich zerreiße.

31
Sieh hier das Ziel von Mahoms Lebenslauf![3]

Vor mir geht Ali, das Gesicht gespalten
Vom Kinn bis zu dem Scheitelhaar hinauf.

34
Sieh Alle, die, da sie auf Erden wallten,

Dort Aergerniß und Trennung ausgesät,
Zerfetzt hier unten ihren Lohn erhalten.

37
Ein wilder Teufel, der dort hinten steht,

Er ist’s, der Jeglichen zerreißt und schändet
[159] Mit scharfem Schwert, der dort vorübergeht,

40
Wenn wir den wehevollen Kreis vollendet;

Denn jede Wunde heilt, wie weit sie klafft,
Eh’ unser Lauf zu ihm zurück sich wendet.

43
Doch wer bist du, der dort hernieder gafft?

Weilst du noch zögernd über diesen Schlünden,
Wohin Geständniß dich und Urtheil schafft?“

46
„Er ist nicht todt, noch hergeführt von Sünden,“

So sprach mein Meister drauf zu Mahoms Pein,
„Doch soll er, was die Höll’ umfaßt, ergründen,

49
Und ich, der todt bin, soll sein Führer sein.

Drum führ’ ich ihn hinab von Rund’ zu Runde,
Und Glauben kannst du meinem Wort verleihn.“

52
Jetzt blieben hundert wohl im tiefen Grunde,

Nach mir hinblickend, still verwundert stehn,
Vergessend ihre Qual bei dieser Kunde.

55
„Du wirst vielleicht die Sonn’ in Kurzem sehn,

Dann sage dem Dolcin, er soll mit Speisen,[4]
Eh’ ihn der Schnee belagert, sich versehn,

58
Wenn er nicht Lust hat, bald mir nachzureisen.

Allein vollbringt er, was ich rieth, so muß
Novara’s Heer ihn lang’ umsonst umkreisen.“

61
Zum Weitergehn erhoben einen Fuß,

Rief dieses Wort mir zu des Mahom Seele,
Und setzt’ ihn hin und ging dann voll Verdruß.

64
Dann sah ich Einen mit durchbohrter Kehle,

Die Nase bis zum Auge hin zerhau’n,
Und wohl bemerkt’ ich, daß ein Ohr ihm fehle.

67
Und staunend sah auf mich dies Bild voll Grau’n,

  1. 21. In dieser neunten Abtheilung finden wir diejenigen, die durch Betrug Zwietracht aussäen. Indem sie im Kreise umherziehen, werden sie von einem Teufel mit Säbelhieben zerfetzt. Allein die Wunden schließen sich, ehe sie wieder zu dem Standpunkte desselben zurückkommen, um von Neuem zerfetzt zu werden. Die Beziehung der Strafe auf das Verbrechen, durch welches frevelhaft der Theil von seinem Ganzen losgerissen und ihm verfeindet wird, spricht sich von selbst aus.
  2. [25 ff. Diese Schilderung zeigt den Anatomen. Während die offene Brusthöhle „das Geschling“ erblicken läßt, worunter Herz, Lunge etc. gemeint sein müssen, hängen abwärts die entfesselten Eingeweide heraus.]
  3. 31. Wir sehen zuerst diejenigen, welche Trennung in Religionsangelegenheiten stiften – allerdings die gefährlichsten unter allen Verbrechern dieser Art, wie wir erfahren haben.
    [Der Chalif Ali, (656–661), ein sonst reiner Charakter, ist dennoch hier, weil er zu der Spaltung der Muhamedaner selbst in Aliden und Schiiten Anlaß gab. Daher trägt er blos einen Theil gespalten und zwar denjenigen, den Muhamed noch ganz hat!]
  4. [159] 56. [Dolcino von Novara, ein Sektirer des 14. Jahrh., im Kampf gegen das verweltlichte Papstthum und für das staufische Kaiserthum mit Dante sich berührend, wird dennoch als zweiter Führer der Sekte der „Apostelbrüder“, welche von Gerhard von Parma ins Leben gerufen war – somit als Zwietrachtstifter in der Kirche hierher verdammt. Man kann hieraus Dante’s Stellung erkennen, dessen starkes Reformations-Verlangen noch streng auf dem Boden der bestehenden Kirche sich hält. – Der verfolgte Dolcin verschanzte sich zuletzt mit etwa 1000 Mann auf dem Berge Sebello, wo er, vom Bischof von Vercelli eingeschlossen und durch Hunger zur Uebergabe gezwungen, einen schrecklichen Märtyrertod erlitt, 1307. Darauf gehen die Verse 57–60.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 158 bzw. 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_158159.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)