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glaube, wir können auch mit Bezug auf den Ursprung der complicirteren Instincte zu keinem anderen Schlusse gelangen, wenn wir an die wunderbaren Instincte steriler Arbeiterameisen und Bienen uns erinnern, welche keine Nachkommen hinterlassen, denen sie die Wirkungen der Erfahrung und veränderten Lebensweise überliefern könnten.

Obschon ein hoher Grad von Intelligenz mit dem Vorhandensein complicirter Instincte verträglich ist, wie wir bei den eben genannten Insecten und beim Biber gesehen haben, und obgleich Handlungen, welche zuerst willkürlich erlernt wurden, in Folge von Gewohnheit bald mit der Schnelligkeit und Sicherheit einer Reflexthätigkeit ausgeführt werden können, so ist es doch nicht unwahrscheinlich, dass freie Intelligenz und Instinct (welcher eine gewisse vererbte Modifikation des Gehirns in sich begreift) sich in einer gewissen Ausdehnung in ihrer gegenseitigen Entwickelung stören. Ueber die Functionen des Gehirns ist nur wenig bekannt; aber wir beobachten, dass in dem Maasse, wie die intellectuellen Fähigkeiten höher entwickelt werden, auch die verschiedenen Theile des Gehirns durch die feinst verwobenen Canäle gegenseitigen Austausches mit einander in Verbindung gebracht werden müssen; und als Folge hiervon würde jeder einzelne Theil vermuthlich weniger geschickt werden, besondere Empfindungen oder Associationen in einer bestimmten und vererbten, das ist instinctiven, Weise zu entwickeln. Es scheint selbst eine gewisse Beziehung zwischen einem niedern Intelligenzgrade und einer starken Neigung zur Bildung fixirter, wennschon nicht vererbter Gewohnheiten zu bestehen; wenigstens hat ein scharfsinniger Arzt gegen mich geäussert, dass in geringem Grade schwachsinnige Personen in Allem nach Routine und Gewohnheit zu handeln streben, und dass man sie viel glücklicher macht, wenn man sie darin ermuthigt.

Ich hielt es für der Mühe werth, diese Abschweifung hier einzuschalten, weil wir die geistigen Fähigkeiten der höheren Thiere und besonders des Menschen leicht unterschätzen können, wenn wir ihre auf die Erinnerung vergangener Ereignisse, auf Vorsicht, Nachdenken und Einbildungskraft gegründeten Handlungen mit den vollständig ähnlichen Handlungen vergleichen, welche von niederen Thieren instinctiv ausgeführt werden. In diesem letzteren Falle ist die Fähigkeit zur Ausführung solcher Handlungen Schritt für Schritt durch Variabilität der psychischen Organe und natürliche Zuchtwahl erreicht worden, ohne dass eine bewusste Intelligenz von Seiten des Thieres während einer jeden


Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/102&oldid=- (Version vom 31.7.2018)