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dass der Hund in seiner Seele einen allgemeinen Begriff oder eine Idee davon hatte, dass irgend ein Thier zu entdecken und zu jagen sei?

Man kann ganz gern zugeben, dass kein Thier Selbstbewusstsein habe, wenn mit diesem Begriff verstanden werden soll, dass es über solche Fragen, wie: woher es komme oder wohin es gehe, oder was das Leben und was der Tod sei und so fort, nachdenke. Wie können wir aber sicher sein, dass ein alter Hund mit einem ausgezeichneten Gedächtnisse und etwas Einbildungskraft, wie sie sich durch seine Träume zu erkennen gibt, niemals über die Freuden und Leiden Betrachtungen anstellt, welche er früher auf der Jagd hatte? Dies wäre aber eine Form des Selbstbewusstseins. Andererseits hat aber Büchner bemerkt:[1] wie wenig kann das abgearbeitete Weib eines verkommenen australischen Wilden, welches kaum irgendwelche abstracte Worte braucht und nicht über vier zählen kann, sein Selbstbewusstsein bethätigen oder über die Natur seiner eignen Existenz nachdenken! Es wird allgemein zugegeben, dass die höheren Thiere Gedächtniss besitzen, ferner Aufmerksamkeit, Associationen und selbst etwas Einbildungskraft und Vernunft. Wenn diese Fähigkeiten, welche bei verschiedenen Thieren sehr verschieden sind, einer Ausbildung fähig sind, so scheint es nicht besonders unwahrscheinlich zu sein, dass die complicirteren Fähigkeiten, wie die höheren Formen der Abstraction und des Selbstbewusstseins u. s. w. sich aus der Entwickelung und Combination der einfacheren herausgebildet haben. Gegen die hier vertretenen Ansichten ist hervorgehoben worden, dass es unmöglich sei anzugeben, bei welchem Punkte in der aufsteigenden Stufenleiter die Thiere einer Abstraction fähig würden u. s. w.; wer kann denn aber sagen, in welchem Alter dies bei unsern Kindern eintritt? Wir sehen wenigstens, dass derartige Fähigkeiten sich bei Kindern in unmerklichen Abstufungen entwickeln.

Dass Thiere das Bewusstsein ihrer psychischen Individualität bewahren, ist durchaus nicht fraglich. Als meine Stimme eine Reihe alter Associationen in der Seele des obengenannten Hundes wach rief, muss er seine geistige Individualität behalten haben, obschon jedes Atom seines Gehirns wahrscheinlich mehr als einmal während des Verlaufs von fünf Jahren gewechselt hatte. Dieser Hund hätte das vor Kurzem in der Absicht, alle Evolutionisten niederzuschmettern, vorgebrachte Argument beibringen und sagen können: „Ich verbleibe inmitten aller


  1. Vorlesungen über die Darwinsche Theorie. S. 190.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/122&oldid=- (Version vom 31.7.2018)