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konnte, den meisten Gauchos der Pampas neu. Diese Tugend, eine der edelsten, welche dem Menschen eigen ist, scheint als natürliche Folge des Umstands zu entstehen, dass unsere Sympathien immer zarter und weiter ausgedehnt werden, bis sie endlich auf alle fühlenden Wesen sich erstrecken. Sobald diese Tugend von einigen wenigen Menschen geehrt und ausgeübt wird, verbreitet sie sich durch Unterricht und Beispiel auf die Jugend und wird auch eventuell in der öffentlichen Meinung eingebürgert.

Die höchste Stufe der moralischen Cultur, zu der wir gelangen können, ist die, wenn wir erkennen, dass wir unsere Gedanken controliren sollen und „selbst in unsern innersten Gedanken nicht noch einmal die Sünden nachdenken dürfen, welche uns die Vergangenheit so angenehm machten“.[1] Was nur immer irgend eine schlechte Handlung der Seele vertraut macht, macht auch ihre Ausführung um so vieles leichter. So hat Marc Aurel schon vor langer Zeit gesagt: „so wie deine gewöhnlichen Gedanken sind, wird auch der Character deiner Seele sein; denn die Seele ist von den Gedanken gefärbt“.[2]

Unser grosser Philosoph Herbert Spencer hat vor Kurzem seine Ansichten über das moralische Gefühl ausgesprochen. Er sagt:[3] „ich glaube, dass die Erfahrungen der Nützlichkeit, welche durch alle vergangenen Generationen in der menschlichen Rasse organisirt und befestigt worden sind, entsprechende Modifikationen hervorgebracht haben, welche in Folge fortgesetzter Ueberlieferung und Anhäufung zu gewissen Fähigkeiten moralischer Intuition in uns geworden sind, – gewisse Erregungen entsprechen dem rechten und unrechten Betragen, welche keine zu Tage tretende Grundlage in den individuellen Erfahrungen der Nützlichkeit haben“. Wie mir scheint, gibt es nicht die geringste in der Sache selbst liegende Unwahrscheinlichkeit für die Annahme, dass tugendhafte Neigungen mehr oder weniger stark vererbt werden; denn – um hier nicht die verschiedenen Dispositionen und Gewohnheiten zu erwähnen, welche von vielen unserer domesticirten Thiere ihren Nachkommen überliefert werden, – ich habe von authentischen Fällen gehört, in welchen eine Sucht zu stehlen und eine Neigung zu lügen durch Familien selbst höherer Stände hindurchgieng;


  1. Tennyson, Idylls of the King, p. 244.
  2. Betrachtungen des Kaisers M. Aurelius Antonius. Englische Uebersetzung, 2. Ausg. 1869, p. 112. Marc Aurel war 121 geboren.
  3. Brief an Mill in Bain’s Mental and Moral Science. 1868, p. 722.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/173&oldid=- (Version vom 31.7.2018)