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tapfersten Leute, welche sich stets willig fanden, sich im Krieg an die Spitze ihrer Genossen zu stellen, und welche bereitwillig ihr Leben für Andere in die Schanze schlugen, werden im Durchschnitt in einer grösseren Zahl umkommen als andere Menschen. Es scheint daher kaum wahrscheinlich, dass die Zahl mit solchen Tugenden ausgerüsteter Menschen oder der Maassstab ihrer Vortrefflichkeit durch natürliche Zuchtwahl, d. h. durch das Ueberlebenbleiben des Passendsten erhöht werden könnte; denn davon sprechen wir hier nicht, dass ein Stamm aus einem Kampfe mit einem andern siegreich hervorgeht.

Wenngleich die Umstände, welche zu einer Zahlenzunahme so begabter Leute innerhalb eines und desselben Stammes führen, zu complicirt sind, um einzeln deutlich verfolgt werden zu können, so sind wir doch im Stande, einige der wahrscheinlichen Schritte zu erkennen. So wird an erster Stelle in der Weise wie die Verstandeskräfte und die Voraussicht der einzelnen Glieder sich verbessern, jeder Mensch bald lernen, dass, wenn er seine Mitmenschen unterstützt, er auch gewöhnlich in Erwiderung Hülfe von ihnen erfahren wird. Aus diesem niedrigen Motive dürfte er die Gewohnheit, seinen Genossen zu helfen, erlangen; und die Gewohnheit, wohlwollende Handlungen auszuüben, kräftigt sicherlich das Gefühl der Sympathie, welches den ersten Antrieb zu wohlwollenden Handlungen abgibt. Ueberdies neigen Gewohnheiten, welchen mehrere Generationen hindurch die Menschen gefolgt sind, wahrscheinlich zur Vererbung.

Es gibt aber noch einen andern und noch kräftigeren Antrieb zur Entwickelung der socialen Tugenden, nämlich das Lob und den Tadel unserer Mitmenschen. Wie wir bereits gesehen haben, ist es zunächst eine Folge des Instincts der Sympathie, dass wir beständig Andern beides, sowohl Lob als Tadel, ertheilen, während wir, wenn beides auf uns bezogen wird, das Lob lieben und den Tadel fürchten; und dieser Instinct wurde ohne Zweifel ursprünglich wie alle übrigen socialen Instincte durch natürliche Zuchtwahl erlangt. Wie früh in ihrer Entwickelung die Urerzeuger des Menschen fähig wurden, das Lob oder den Tadel ihrer Mitgeschöpfe zu fühlen und durch sie beeinflusst zu werden, können wir natürlich nicht sagen; aber es scheint, dass selbst Hunde Ermuthigung, Lob und Tadel wohl zu schätzen wissen. Die rohesten Wilden kennen das Gefühl des Ruhms, wie sie deutlich durch das Aufbewahren der Trophäen ihrer Tapferkeit, durch die Gewohnheit des excessiven Sich-Rühmens und selbst durch die extreme Sorgfalt


Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/184&oldid=- (Version vom 31.7.2018)