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mittelst der verbesserten Nahrung und der Beseitigung von gelegentlichen Nothständen die bessere Entwickelung des Körpers. Dies lässt sich daraus schliessen, dass, wo man auch den Vergleich angestellt haben mag, civilisirte Leute immer physisch kräftiger gefunden wurden als Wilde.[1] Sie scheinen auch gleiche Kraft der Ausdauer zu haben, wie sich in vielen abenteuerlichen Expeditionen herausgestellt hat. Selbst der grosse Luxus der Reichen kann nur in geringem Grade nachtheilig sein. Denn die wahrscheinliche Lebensdauer unserer Aristokratie ist auf allen Altersstufen und in beiden Geschlechtern sehr unbedeutend geringer als diejenige gesunder Engländer der niederen Classen.[2]

Wir wollen nun die intellectuellen Fähigkeiten allein betrachten. Wenn wir auf jeder Stufe der Gesellschaft die Glieder in zwei gleiche Massen theilten, von denen die eine diejenigen umfasste, welche intellectuell höher begabt wären, die andere die ihnen untergeordneteren, so lässt sich kaum zweifeln, dass die erstere in allen Beschäftigungsweisen bessere Erfolge erzielen und eine grössere Anzahl von Kindern aufbringen würde. Selbst in den niedrigsten Schichten des Lebens muss Geschick und Fähigkeit von irgendwelchem Vortheil sein, wenn auch, wegen der grossen Arbeitstheilung, in vielen Thätigkeitszweigen nur von sehr geringem. Es wird daher bei civilisirten Nationen eine Neigung bestehen, dass sich sowohl die Zahl als auch das Maass der intellectuell Befähigten erhöht. Doch möchte ich nicht behaupten, dass diese Neigung nicht durch andere Momente mehr als ausgeglichen wird, wie z. B. durch die Vermehrung der Leichtsinnigen und Sorglosen; aber selbst für diese muss Geschicklichkeit von irgendwelchem Vortheil sein.

Ansichten wie den eben vorgetragenen ist oft entgegengehalten worden, dass die ausgezeichnetsten Leute, welche je gelebt haben, keine Nachkommen hinterlassen haben, um ihren grossen Intellect zu ererben. Mr. Galton bemerkt:[3] „ich bedaure, nicht im Stande zu sein, die einfache Frage zu lösen, ob und in wie weit Männer und Frauen, welche Wunder des Genies waren, unfruchtbar sind. Ich habe indessen gezeigt, dass hervorragende Männer dies durchaus nicht sind“. Grosse Gesetzgeber, die Gründer segensreicher Religionen, grosse Philosophen und wissenschaftliche Entdecker unterstützen den Fortschritt der Menschheit


  1. Quatrefages, Revue des Cours scientifiques, 1867—68, p. 659.
  2. s. die fünfte und sechste nach guten Quellen zusammengestellte Columne der Tabelle in E. Ray Lankester’s Comparative Longevity. 1870, p. 115.
  3. Hereditary Genius. 1870, p. 330.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/191&oldid=- (Version vom 31.7.2018)