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und dieselbe Form während eines enormen Zeitraums beibehalten haben. Nach dem, was wir im Zustande der Domestication vor sich gehen sehen, bemerken wir, dass innerhalb einer und derselben Periode einige der gleichzeitigen Nachkommen einer und derselben Art gar nicht geändert zu haben brauchen, einige nur wenig und andere wieder bedeutend. So mag es mit dem Menschen der Fall gewesen sein, welcher im Vergleich mit den höheren Affen einen grossen Betrag an Modificationen in gewissen Merkmalen erfahren hat.

Die grosse Unterbrechung in der organischen Stufenreihe zwischen dem Menschen und seinen nächsten Verwandten, welche von keiner ausgestorbenen oder lebenden Species überbrückt werden kann, ist oft als ein schwer wiegender Einwurf gegen die Annahme vorgebracht worden, dass der Mensch von einer niederen Form abgestammt ist; für Diejenigen aber, welche durch allgemeine Gründe überzeugt an das allgemeine Princip der Evolution glauben, wird dieser Einwurf nicht als ein Einwurf von sehr grossem Gewichte erscheinen. Solche Unterbrechungen treten unaufhörlich an allen Punkten der Reihe auf, einige sind weit, sehr scharf abgeschnitten und bestimmt, andere in verschiedenen Graden weniger nach diesen Beziehungen hin, so z. B. zwischen dem Orang und seinen nächsten Verwandten – zwischen dem Tarsius und den andern Lemuriden – zwischen dem Elephanten und in einer noch auffallenderen Weise zwischen dem Ornithorhynchus oder der Echidna und allen übrigen Säugethieren. Aber alle diese Unterbrechungen beruhen lediglich auf der Zahl der verwandten Formen, welche ausgestorben sind. In irgend einer künftigen Zeit, welche nach Jahrhunderten gemessen nicht einmal sehr entfernt ist, werden die civilisirten Rassen der Menschheit beinahe mit Bestimmtheit auf der ganzen Erde die wilden Rassen ausgerottet und ersetzt haben. Wie Professor Schaaffhausen bemerkt hat,[1] werden zu derselben Zeit ohne Zweifel auch die anthropomorphen Affen ausgerottet sein. Der Abstand zwischen dem Menschen und seinen nächsten Verwandten wird dann noch weiter sein; denn er tritt dann zwischen dem Menschen in einem noch civilisirteren Zustande als dem kaukasischen, wie wir hoffen können, und irgend einem so tief in der Reihe stehenden Affen wie einem Pavian auf, statt dass er sich gegenwärtig zwischen dem Neger oder Australier und dem Gorilla findet.


  1. Anthropological Review. Apr. 1867, p. 236.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/216&oldid=- (Version vom 31.7.2018)