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zwar in der Weise ihrer Entwickelung, in der relativen Lage ihres Nervensystems und in dem Besitze eines Gebildes, welches der Chorda dorsalis der Wirbelthiere sehr ähnlich ist. Dies ist von Prof. Kupffer bestätigt worden. Mr. Kowalevsky schreibt mir von Neapel, dass er diese Beobachtungen jetzt noch weiter geführt hat; sollten seine Resultate sicher begründet werden, so würden sie eine Entdeckung von dem grössten Werthe darstellen. Dürfen wir uns nun auf Embryologie verlassen, welche sich stets als der sicherste Führer bei der Classification erwiesen hat, so scheint es hiernach, als hätten wir endlich einen Schlüssel zu jener Quelle gefunden, aus welcher die Wirbelthiere herstammen.[1] Wir würden darnach zu der Annahme berechtigt sein, dass in einer äusserst frühen Periode eine Gruppe von Thieren existirte, in vielen Beziehungen den Larven unserer jetzt lebenden Ascidien ähnlich, welche in zwei grosse Zweige auseinandergieng; von diesen gieng der eine in der Entwickelung zurück und brachte die jetzige Classe der Ascidien hervor, während der andere sich zu der Krone und Spitze des ganzen Thierreichs erhob, dadurch, dass er die Wirbelthiere entstehen liess.

Wir haben bis jetzt versucht, in grossen Umrissen die Genealogie der Wirbelthiere mit Hülfe ihrer gegenseitigen Verwandtschaften zu entwerfen. Wir wollen nunmehr den Menschen betrachten, wie er gegenwärtig existirt, und ich meine, wir werden theilweise im Stande sein, in den aufeinanderfolgenden Perioden, aber wohl nicht in der gehörigen Zeitfolge, den Bau unserer frühen Urerzeuger zu reconstruiren. Dies kann mit Hülfe der Rudimente ausgeführt werden, welche der Mensch noch besitzt, ferner durch die Charactere, welche gelegentlich bei ihm in Folge eines Rückschlags zur Erscheinung kommen, und endlich durch die Hülfe der Gesetze der Morphologie und Embryologie.


  1. Bemerken muss ich aber doch, dass einige competente Männer diese Folgerung bestreiten; so z. B. M. Giard in einer Reihe von Aufsätzen in den „Archives de Zoologie Expérimentale“, 1872. Trotzdem sagt aber derselbe Forscher, p. 281: „L’organisation de la larve ascidienne en dehors de toute hypothèse et de toute théorie nous montre comment la nature peut produire la disposition fondamentale du type vertébré (l’existence d’une corde dorsale) chez un invertébré par la seule condition vitale de l’adaptation, et cette simple possibilité du passage supprime l’abime entre les deux sous-règnes, encore bien qu’on ignore par où le passage s’est fait en réalité“.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/221&oldid=- (Version vom 31.7.2018)