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Zoolog wird auch in einem gewissen Grade von dem enormen Verbreitungsverhältnisse des Menschen beeinflusst worden sein, welches in der Classe der Säugethiere eine grosse Anomalie sein würde, wenn das menschliche Geschlecht als eine einzige Species angesehen werden sollte. Er wird von der Verbreitung der verschiedenen sogenannten Rassen überrascht gewesen sein, welche mit der anderer, zweifellos distincter Species von Säugethieren übereinstimmt. Endlich dürfte er betonen, dass die wechselseitige Fruchtbarkeit aller Rassen noch nicht vollständig bewiesen ist, und dass sie, selbst wenn sie bewiesen wäre, noch keinen absoluten Beweis ihrer specifischen Identität darbieten würde.

Wenn sich nun unser angenommener Naturforscher nach Gründen für die andere Seite der Frage umsähe und untersuchte, ob die Formen des Menschen sich, wie gewöhnliche Species, verschieden erhalten, wenn sie in einem und demselben Lande in grossen Zahlen unter einander gemischt leben, so würde er sofort sehen, dass dies durchaus nicht der Fall ist. In Brasilien würde er eine ungeheure Bastardbevölkerung von Negern und Portugiesen bemerken; in Chiloë und anderen Theilen von Südamerica würde er sehen, dass die ganze Bevölkerung aus Indianern und Spaniern besteht, welche in verschiedenen Graden in einander übergegangen sind.[1] In vielen Theilen desselben Continents würde er die complicirtesten Kreuzungen zwischen Negern, Indianern und Europäern antreffen, und derartige dreifache Kreuzungen bieten die schärfste Probe für wechselseitige Fruchtbarkeit der elterlichen Formen dar, wenigstens nach den Erfahrungen aus dem Pflanzenreiche zu schliessen. Auf einer Insel des Stillen Oceans würde er eine kleine Bevölkerung von mit einander vermischtem polynesischem und englischem Blute finden, und auf allen Inseln des Viti-Archipels eine Bevölkerung von Polynesiern und Negritos, welche sich in allen Graden gekreuzt haben. Viele analoge Fälle könnten noch z. B. aus Südafrica angeführt werden. Es sind daher die Menschenrassen nicht hinreichend distinct, um ohne Verschmelzung zusammen bestehen zu können, und das Ausbleiben einer Verschmelzung gibt die herkömmliche und beste Probe für die specifische Verschiedenheit ab.


  1. A. de Quatrefages hat in der Anthropolog. Review. Jan. 8, 1869, p. 22 einen interessanten Bericht über den Erfolg und die Energie der Paulistas in Brasilien gegeben, welche eine stark gekreuzte Rasse von Portugiesen und Indianern mit einer Zumischung von Blut anderer Rassen darstellen.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/241&oldid=- (Version vom 18.8.2016)