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der Beurtheilung beweist nicht, dass die Rassen nicht als Species zu classificiren wären, es zeigt aber dieselbe, dass sie allmählich in einander übergehen und dass es kaum möglich ist, scharfe Unterscheidungsmerkmale zwischen ihnen aufzufinden.

Jedem Naturforscher, welcher das Unglück gehabt hat, sich an die Beschreibung einer Gruppe äusserst veränderlicher Organismen zu machen, sind Fälle vorgekommen – und ich spreche aus Erfahrung – welche dem des Menschen völlig gleichen; und ist er zur Vorsicht disponirt, so wird er damit enden, dass er alle die Formen, welche allmählich in einander übergehen, zu einer einzigen Species vereinigt. Denn er wird sich selbst sagen, dass er kein Recht hat, Objecte mit Namen zu belegen, welche er nicht definiren kann. Fälle dieser Art kommen auch in der Ordnung, welche den Menschen mit einschliesst, vor, nämlich bei gewissen Gattungen von Affen, während in andern Gattungen, wie bei Cercopithecus, die meisten Species mit Sicherheit bestimmt werden können. In der americanischen Gattung Cebus werden die verschiedenen Formen von manchen Naturforschern als Species rangirt, von andern als blosse geographische Rassen. Wenn nun zahlreiche Exemplare von Cebus aus allen Theilen von Südamerica gesammelt würden und es stellte sich heraus, dass diejenigen Formen, welche jetzt specifisch verschieden zu sein scheinen, durch kleine Abstufungen allmählich in einander übergehen, so würden sie von den meisten Naturforschern als blosse Varietäten oder Rassen aufgeführt werden; und in dieser Weise ist die grössere Zahl der Naturforscher in Bezug auf die Rassen des Menschen verfahren. Nichtsdestoweniger muss man bekennen, dass es wenigstens im Pflanzenreiche[1] Formen gibt, welche man Species zu nennen nicht umhin kann, welche aber unabhängig von einer zwischen ihnen auftretenden Kreuzung durch zahllose Abstufungen mit einander verbunden werden.

Einige Naturforscher haben neuerdings den Ausdruck „Subspecies“ angewendet, um Formen zu bezeichnen, welche viele der characteristischen Eigenschaften echter Species besitzen, welche aber kaum einen


  1. Prof. Nägeli hat mehrere auffallende Fälle in seinen Botanischen Mittheilungen Bd. 2. 1866, S. 294–369 sorgfältig beschrieben. Aehnliche Bemerkungen hat Prof. Asa Gray über einige intermediäre Formen der Compositen Nord-America’s gemacht.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/243&oldid=- (Version vom 31.7.2018)