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hat, welcher die Angabe in Bezug auf die letztere Species selbst bestätigen kann.

Mr. Swaysland von Brighton, welcher während der letzten vierzig Jahre unsere Zugvögel bei ihrem ersten Eintreffen zu fangen pflegte, hat niemals die Erfahrung gemacht, dass die Weibchen irgend einer Art vor ihren Männchen ankämen. Während eines Frühlings schoss er neunundreissig Männchen von Ray’s Bachstelze (Budytes Raii), ehe er ein einziges Weibchen sah. Mr. Gould hat durch die Section der zuerst in England ankommenden Becassinen ermittelt, dass die männlichen Vögel vor den weiblichen ankommen. Dasselbe gilt für die meisten Zugvögel der Vereinigten Staaten.[1] Zu der Periode, wenn der Lachs in unseren Flüssen aufsteigt, ist die Majorität der Männchen vor den Weibchen zur Brut bereit. Allem Anscheine nach ist dasselbe bei den Fröschen und Kröten der Fall. In der ganzen grossen Classe der Insecten schlüpfen die Männchen fast immer vor dem andern Geschlechte aus dem Puppenzustande aus, so dass sie meistens eine Zeit lang schwärmen, ehe irgendwelche Weibchen sichtbar sind.[2] Die Ursache dieser Verschiedenheit zwischen der Periode der Ankunft der Männchen und der Weibchen und deren Reifeperiode ist hinreichend klar. Diejenigen Männchen, welche jährlich zuerst in ein Land einwandern oder welche im Frühjahre zuerst zur Brut bereit sind oder die eifrigsten sind, werden die grösste Anzahl von Nachkommen hinterlassen, und diese werden ähnliche Instincte und Constitutionen zu vererben neigen. Man muss im Auge behalten, dass es unmöglich gewesen wäre, die Zeit der geschlechtlichen Reife bei den Weibchen wesentlich zu ändern, ohne gleichzeitig die Periode der Hervorbringung der Jungen zu stören – eine Periode, welche durch die Jahreszeiten bestimmt werden muss. Im Ganzen lässt sich nicht zweifeln, dass fast bei allen Thieren, bei denen die Geschlechter getrennt sind, ein beständig


  1. J. A. Allen, on the Mammals and Winter Birds of Florida, in: Bull. Comp. Zoology, Harvard Cellege, p. 268.
  2. Selbst bei denjenigen Pflanzen, bei denen die Geschlechter getrennt sind, werden die männlichen Blüthen allgemein vor den weiblichen reif. Viele hermaphroditische Pflanzen sind, wie zuerst C. K. Sprengel gezeigt hat, dichogam, d. h. ihre männlichen und weiblichen Organe sind nicht zu derselben Zeit fortpflanzungsfähig, so dass sie sich nicht selbst befruchten können. In solchen Pflanzen ist nun allgemein der Pollen in derselben Blüthe früher reif, als die Narbe, obschon einige exceptionelle Fälle vorkommen, bei denen die weiblichen Organe vor den männlichen die Reife erlangen.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/292&oldid=- (Version vom 31.7.2018)