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kann kein Zweifel bestehen, dass die kräftigsten, am besten genährten und am frühesten brütenden Weibchen im Mittel es erreichen, die grösste Zahl tüchtiger Nachkommen aufzuziehen.[1] Wie wir gesehen haben, sind allgemein die Männchen schon vor den Weibchen zum Fortpflanzungsgeschäft bereit; von den Männchen treiben nun die stärksten und bei einigen Species die am besten bewaffneten die schwächeren Männchen fort, und die ersteren werden sich dann mit den kräftigeren und am besten genährten Weibchen verbinden, da diese die ersten sind, welche zur Brut bereit sind.[2] Derartige kräftige Paare werden sicher eine grössere Zahl von Nachkommen aufziehen, als die zurückgebliebenen Weibchen, welche unter der Voraussetzung, dass die Geschlechter numerisch gleich sind, gezwungen werden, sich mit den besiegten und weniger kräftigen Männchen zu paaren; und hier findet sich denn Alles was nöthig ist, um im Verlaufe aufeinander folgender Generationen die Grösse, Stärke und den Muth der Männchen zu erhöhen oder ihre Waffen zu verbessern.

Aber in einer grossen Menge von Fällen gelangen die Männchen, welche andere Männchen besiegen, nicht in den Besitz der Weibchen unabhängig von einer Wahl seitens der letzteren. Die Bewerbung der Thiere ist durchaus keine so einfache und kurze Angelegenheit, als man wohl denken möchte. Die Weibchen werden durch die geschmückteren oder die sich als die besten Sänger zeigenden oder die am besten gesticulirenden Männchen am meisten angeregt oder ziehen vor, sich mit solchen zu paaren. Es ist aber offenbar wahrscheinlich, wie es auch in manchen Fällen factisch beobachtet worden ist, dass diese Männchen in derselben Weise es auch vorziehen werden, sich mit den kräftigeren und lebendigeren Weibchen zu begatten.[3] Es werden daher die kräftigeren


  1. Das Folgende ist ein ausgezeichnetes, von einem erfahrenen Ornithologen erwähntes Zeugniss von dem Character der Nachkommen. Mr. J. A. Allen spricht (Mammals and Winter Birds of E. Florida, p. 229) von den späteren Bruten nach der zufälligen Zerstörung der ersten, und sagt, dass man diese „kleiner und blasser gefärbt finde, als die zeitiger in der Saison ausgebrüteten. In Fällen, wo mehrere Bruten in jedem Jahre erzogen werden, sind der allgemeinen Regel zufolge die Vögel der früheren Bruten in jeder Beziehung die vollkommensten und kräftigsten“.
  2. Hermann Müller ist in Bezug auf diejenigen weiblichen Bienen, welche zuerst in jedem Jahre ausschlüpfen, zu demselben Schlusse gelangt, s. seinen bemerkenswerthen Aufsatz: Anwendung der Darwin’schen Lehre auf Bienen“, in: Verhandl. d. naturhist. Ver. d. preuss. Rheinl. XXIX. Jahrg., 1872, p. 45.
  3. Ich habe Mittheilungen in diesem Sinne in Bezug auf die Hühner erhalten, welche ich später noch erwähnen werde. Selbst bei solchen Vögeln, welche sich, wie der Tauber, für ihre Lebenszeit paaren, verlässt, wie ich von Mr. Jenner Weir höre, das Weibchen seinen Genossen, wenn er krank oder schwach wird.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/294&oldid=- (Version vom 31.7.2018)