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Vererbung auf entsprechenden Perioden des Lebens. – Die Neigung hierzu ist eine sicher ermittelte Thatsache. Wenn ein neues Merkmal an einem Thiere auftritt, so lange es jung ist, mag dasselbe nun während des ganzen Lebens bestehen bleiben oder nur eine Zeit lang währen, so wird es der allgemeinen Regel nach in demselben Alter auch bei den Nachkommen wiedererscheinen und die gleiche Zeitdauer bestehen bleiben. Wenn auf der anderen Seite ein neuer Character im Alter der Reife erscheint oder selbst während des hohen Alters, so neigt er dazu, bei den Nachkommen in demselben vorgeschrittenen Alter wiederzuerscheinen. Treten Abweichungen von dieser Regel auf, so erscheinen die überlieferten Charactere viel häufiger vor als nach dem entsprechenden Alter. Da ich diesen Gegenstand mit hinreichender Ausführlichkeit in einem anderen Werke[1] erörtert habe, so will ich hier nur zwei oder drei Beispiele anführen, um den Gegenstand in das Gedächtniss des Lesers zurückzurufen. Bei mehreren Hühnerrassen weichen die Hühnchen, während sie noch mit dem Dunenkleide bedeckt sind, dann die jungen Vögel in ihrem ersten wirklichen Gefieder und auch die Hühner in ihrem erwachsenen Federkleide bedeutend von einander, ebenso wie von ihrer gemeinsamen elterlichen Form, dem Gallus bankiva, ab; und diese Charactere werden von jeder Zucht ihren Nachkommen zu den entsprechenden Lebensaltern treu überliefert. So haben z. B. die Hühnchen der geflitterten (spangled) Hamburger, so lange sie mit Dunen bekleidet sind, einige wenige dunkle Flecke auf dem Kopfe und am Rumpfe, sind aber nicht längsweise gestreift, wie in vielen anderen Zuchten; in ihrem ersten wirklichen Gefieder sind sie „wundervoll gestrichelt“, d. h. jede Feder ist von zahlreichen dunklen Strichen quer gezeichnet; aber in ihrem zweiten Gefieder werden die Federn alle geflittert, d. h. erhalten einen dunklen runden Fleck an der Spitze.[2] Es sind daher in dieser Zucht in drei verschiedenen Lebensperioden Abänderungen aufgetreten und sind dann auf diese wieder überliefert worden. Die Taube bietet einen noch merkwürdigeren


  1. Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. 2, S. 86. In dem vorletzten Capitel desselben Bandes ist die oben erwähnte provisorische Hypothese der Pangenesis ausführlich erörtert worden.
  2. Diese Thatsachen sind nach der hohen Autorität eines grossen Züchters, Mr. Teebay, in Tegetmeier’s Poultry Book, 1868, p. 158 mitgetheilt. Ueber die Charactere von Hühnchen verschiedener Rassen und über die Rassen der Tauben, welche oben erwähnt werden, s. das Variiren der Thiere und Pflanzen u. s. w. 2. Aufl. Bd. 1. S. 179. 277. Bd. 2. S. 88.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/314&oldid=- (Version vom 31.7.2018)