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ich will aber auch hier ein paar Beispiele anführen. Es gibt Rassen vom Schafe und der Ziege, bei denen die Hörner des Männchens bedeutend in der Form von denen des Weibchens abweichen; und diese im Zustande der Domestication erlangten Verschiedenheiten werden regelmässig auf dasselbe Geschlecht wieder überliefert. Bei weiss, braun und schwarz gefleckten Katzen („tortoise-shell“) sind der allgemeinen Regel zufolge nur die Weibchen so gefärbt, wogegen die Männchen rostroth sind. Bei den meisten Hühnerrassen werden die jedem Geschlechte eigenen Charactere nur auf dieses selbe Geschlecht vererbt. Diese Form der Ueberlieferung ist so allgemein, dass es eine Anomalie ist, wenn wir bei gewissen Rassen Variationen gleichmässig auf beide Geschlechter vererbt sehen. So gibt es auch gewisse Unterrassen von Hühnern, bei welchen die Männchen kaum von einander unterschieden werden können, während die Weibchen beträchtlich in der Färbung abweichen. Bei der Taube sind die Geschlechter der elterlichen Species in keinem äusseren Character von einander verschieden; nichtsdestoweniger ist bei gewissen domesticirten Rassen das Männchen vom Weibchen verschieden gefärbt.[1] Die Fleischlappen bei der englischen Botentaube und der Kropf bei der Kropftaube sind beim Männchen stärker entwickelt als beim Weibchen; und obschon diese Charactere durch lange fortgesetzte Zuchtwahl seitens des Menschen erlangt worden sind, so ist doch die geringe Verschiedenheit zwischen den beiden Geschlechtern gänzlich Folge der Form von Vererbung, welche hier geherrscht hat. Denn sie sind nicht in Folge der Wünsche des Züchters, sondern eher gegen diese Wünsche aufgetreten.

Die meisten unserer domesticirten Rassen sind durch die Anhäufung vieler unbedeutender Abänderungen gebildet worden; und da einige der aufeinanderfolgenden Stufen nur auf ein Geschlecht, einige auf beide Geschlechter überliefert worden sind, so finden wir in den verschiedenen Rassen einer und derselben Species alle Abstufungen zwischen bedeutender sexueller Verschiedenheit und vollständiger Aehnlichkeit. Es sind bereits Beispiele angeführt worden von den Rassen des Huhns und der Taube, und im Naturzustande sind analoge Fälle von häufigem Vorkommen. Bei Thieren im Zustande der Domestication, ob aber


  1. Dr. Chapuis, Le Pigeon Voyageur Belge. 1865, p. 87. Boitard et Corbié, Les Pigeons de Volière etc. 1824. p. 173. s. auch in Bezug auf ähnliche Verschiedenheiten bei gewissen Rassen in Modena: „Le variazioni dei Colombi domestici“, del Paolo Bonizzi, 1873.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/316&oldid=- (Version vom 31.7.2018)