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Rasse erreicht worden ist, bei welcher nur die Männchen schwarz gestreift sind. Wenn in einer ähnlichen Weise irgend eine Abänderung bei einer weiblichen Taube aufträte, welche vom Anfang an in ihrer Entwickelung auf die Weibchen beschränkt wäre, so würde es leicht sein, eine Rasse zu erziehen, bei welcher nur die Weibchen in dieser Weise characterisirt wären. Wäre aber die Abänderung nicht ursprünglich in dieser Weise beschränkt, so würde der Process äusserst schwierig, vielleicht unmöglich sein.[1]

Ueber die Beziehung zwischen der Periode der Entwickelung eines Characters und seiner Ueberlieferung auf ein Geschlecht oder auf beide. – Warum gewisse Charactere von beiden Geschlechtern, andere nur von einem Geschlechte, nämlich von demjenigen, bei welchem der Character zuerst auftrat, geerbt werden, ist in den meisten Fällen völlig unbekannt. Wir können nicht einmal eine Vermuthung aufstellen, warum bei gewissen Unterrassen der Taube schwarze Streifen, trotzdem sie durch das Weibchen zur Vererbung gelangen, sich nur beim Männchen entwickeln, während jedes andere Merkmal gleichmässig auf beide Geschlechter überliefert wird; warum ferner bei Katzen die schwarz, braun und weisse Färbung (tortoise-shell) mit seltenen Ausnahmen nur bei den Weibchen sich entwickelt. Ein und derselbe Character, wie fehlende und überzählige Finger, Farbenblindheit u. s. w. kann beim Menschen nur von den männlichen Gliedern einer Familie und in einer andern Familie nur von den weiblichen geerbt werden, trotzdem er in beiden Fällen ebenso gut durch das entgegengesetzte wie durch das gleichnamige Geschlecht überliefert wird.[2] Obgleich wir uns hiernach in Unwissenheit befinden, so scheinen


  1. Es gereicht mir zur grossen Genugthuung, seit Veröffentlichung der ersten Auflage des vorliegenden Werkes die folgenden Bemerkungen eines so erfahrenen Züchters, des Mr. Tegetmeier, zu finden (the „Field“, Sept. 1872). Nachdem er einige merkwürdige Fälle von Ueberlieferung der Färbung nur auf ein Geschlecht und der Bildung einer Unterrasse mit diesem Merkmale bei Tauben beschrieben hat, sagt er: „Es ist ein eigenthümlicher Umstand, dass Mr. Darwin die Möglichkeit einer Modifikation der geschlechtlichen Färbung bei Vögeln durch eine Methode künstlicher Zuchtwahl ausgesprochen hat. Als er dies that, kannte er die von mir mitgetheilten Fälle nicht; es ist aber merkwürdig, wie ausserordentlich nahe er in seiner Vermuthung der richtigen Methode des Züchtens gekommen ist“.
  2. Verweisungen sind gegeben in meinem „Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication“. 2. Aufl. Bd. 2, S. 82.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/318&oldid=- (Version vom 31.7.2018)