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Weibchen von ungewöhnlicher Grösse. Bei der Kampfhahnrasse wird die Kampfsucht in einem wunderbar frühen Alter entwickelt, wovon merkwürdige Beweise gegeben werden könnten; und dieser Character wird auch auf beide Geschlechter vererbt, so dass die Hennen wegen ihrer ausserordentlichen Kampfsucht jetzt allgemein in besonderen Behältern ausgestellt werden. Bei den polnischen Rassen bildet sich die Protuberanz des Schädels, welche die Federkrone trägt, zum Theil schon ehe die Hühnchen ausschlüpfen, und die Federkrone selbst beginnt sehr bald zu wachsen, wenn auch anfangs nur schwach.[1] Und in dieser Rasse characterisirt eine grosse knöcherne Protuberanz und eine ungeheure Federkrone die erwachsenen Thiere beider Geschlechter.

Nach dem nun endlich, was wir jetzt von den Beziehungen gesehen haben, welche in vielen natürlichen Species und domesticirten Rassen zwischen der Periode der Entwickelung ihrer Merkmale und der Art und Weise ihrer Ueberlieferung existirt, – z. B. die auffallende Thatsache des frühen Wachsthums des Geweihes beim Renthier, bei dem beide Geschlechter Geweihe tragen, im Vergleich mit dessen viel später eintretendem Wachsthum bei den anderen Species, bei denen das Männchen allein ein Geweih trägt, – können wir schliessen, dass die eine, wenn auch nicht die einzige Ursache der Vererbung von Characteren ausschliesslich auf ein Geschlecht der Umstand ist, dass sie sich in einem späteren Alter entwickeln, und zweitens, dass eine, wenn auch wie es scheint weniger wirksame Ursache der Vererbung von Characteren auf beide Geschlechter deren Entwickelung in einem frühen Alter ist, in einer Zeit also, wo die Geschlechter in ihrer Constitution nur wenig von einander abweichen. Es scheint indessen, als wenn doch irgend eine Verschiedenheit zwischen den Geschlechtern selbst während einer frühen embryonalen Periode existiren müsste; denn in diesem Alter entwickelte Merkmale werden nicht selten auf ein Geschlecht beschränkt.

Zusammenfassung und Schlussbemerkungen. – Nach der vorstehenden Erörterung über die verschiedenen Gesetze der Vererbung


  1. Wegen ausführlicher Einzelnheiten und Verweisungen über alle diese Punkte in Bezug auf verschiedene Rassen des Huhns s. Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. 1, S. 278 u. 285. Was die höheren Thiere betrifft, so sind die geschlechtlichen Verschiedenheiten, welche im Zustande der Domestication entstanden sind, in demselben Werke unter den die einzelnen Species behandelnden Abschnitten beschrieben.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/328&oldid=- (Version vom 31.7.2018)