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Wir haben nach den verschiedenen, im Vorstehenden angeführten Quellen wohl Grund zur Annahme, dass Kindesmord in der oben besprochenen Weise ausgeführt dahin neigt, eine Rasse zu bilden, welche männliche Nachkommen producirt; ich bin aber weit davon entfernt zu vermuthen, dass dieser Gebrauch, sofern der Mensch in Betracht kommt, oder irgend ein analoger Vorgang bei andern Arten die einzige bestimmte Ursache eines Ueberschusses der Männchen sei. Es dürfte hier bei abnehmenden Rassen, welche bereits in gewissem Grade unfruchtbar geworden sind, irgend ein unbekanntes, zu diesem Resultate führendes Gesetz bestehen. Ausser den früher angezogenen Ursachen dürfte die grössere Leichtigkeit der Geburt bei Wilden und ihre geringere damit verbundene Schädigung ihrer männlichen Kinder dazu führen, das Verhältniss der lebendiggebornen Knaben zu den Mädchen zu erhöhen. Es scheint indessen kein irgend nothwendiger Zusammenhang zwischen dem Leben der Wilden und einem merkbaren Ueberschuss der männlichen Individuen zu bestehen; d. h. wenigstens, wenn wir uns nach den Characteren der dürftigen Nachkommenschaft der vor Kurzem noch existirenden Tasmanier und der gekreuzten Nachkommenschaft der jetzt die Norfolk-Insel bewohnenden Tahitianer ein Urtheil bilden dürfen.

Da die Männchen und Weibchen vieler Thiere in Bezug auf ihre Lebensweise etwas von einander verschieden sind, auch in verschiedenem Grade Gefahren ausgesetzt sind, so ist es wahrscheinlich, dass in vielen Fällen beständig mehr Individuen des einen Geschlechts als des andern zerstört werden. So weit ich aber die Complication der Ursachen verfolgen kann, würde ein unterschiedloses wenn auch bedeutendes Zerstören eines der beiden Geschlechter nicht dahin streben,


    Verhältnisszahlen der beiden Geschlechter von keiner Rasse, die Windspiele ausgenommen, etwas, und hier verhalten sich die männlichen Geburten zu den weiblichen, wie 110,1 zu 100. Nach Erkundigungen, die ich von vielen Züchtern eingezogen habe, scheint es, als ob die Weibchen in mancher Beziehung mehr geschätzt würden, trotzdem sie in andrer Weise unbequem sind. Auch geht daraus nicht hervor, dass die weiblichen Jungen der bestgezüchteten Hunde systematisch mehr getödtet werden als die männlichen, wenn schon dies zuweilen im beschränkten Grade eintritt. Ich bin daher nicht im Stande zu entscheiden, ob wir das Ueberwiegen der männlichen Geburten bei Windspielen nach den oben angeführten Grundsätzen erklären können. Andererseits haben wir gesehen, dass bei Pferden, Rindern und Schafen, welche zu werthvoll sind, um die Jungen irgend eines Geschlechts zu tödten, wenn eine Verschiedenheit stattfindet, die weiblichen Geburten unbedeutend überwiegen.

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/353&oldid=- (Version vom 31.7.2018)