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viel variabler sind als Species mit beschränkter Verbreitung; und man kann weit zutreffender die Variabilität des Menschen mit der weitverbreiteter Species als mit der domesticirter Thiere vergleichen.

Die Variabilität scheint nicht bloss beim Menschen und den niederen Thieren durch die nämlichen allgemeinen Ursachen veranlasst worden zu sein, sondern in beiden Fällen werden auch dieselben Merkmale in einer streng analogen Weise afficirt. Dies ist mit so ausführlichen Details von Godron und Quatrefages erwiesen worden, dass ich hier nur auf deren Werke zu verweisen habe.[1] Auch die Monstrositäten, welche allmählich in unbedeutende Varietäten übergehen, sind beim Menschen und den niederen Thieren einander so ähnlich, dass für beide dieselbe Classification und dieselben Bezeichnungen gebraucht werden können, wie man aus Isidore Geoffroy St. Hilaire's grossem Werk sehen kann.[2] In meinem Buche über das Variiren domesticirter Thiere habe ich den Versuch gemacht, in einer flüchtigen Weise die Gesetze des Variirens unter die folgenden Punkte zu ordnen: Die directe und bestimmte Wirkung veränderter Bedingungen, wie sich dieselben bei allen oder fast allen Individuen einer und derselben Species zeigt, welche unter denselben Umständen in einer und derselben Art und Weise abändern; — die Wirkungen lange fortgesetzten Gebrauchs oder Nichtgebrauchs von Theilen; — die Verwachsung homologer Theile; — die Variabilität in Mehrzahl vorhandener Theile; — Compensation des Wachsthums, doch habe ich von diesem Gesetz beim Menschen kein entscheidendes Beispiel gefunden; — die Wirkungen des mechanischen Drucks eines Theils auf einen andern, wie der Druck des Beckens auf den Schädel des Kindes im Mutterleibe; — Entwickelungshemmungen, welche zur Verkleinerung oder Unterdrückung von Theilen führen; — das Wiedererscheinen lange verlorener Charactere durch Rückschlag; — und endlich correlative Abänderung. Alle diese sogenannten Gesetze gelten in gleicher Weise für den Menschen, wie für die niederen Thiere, und die meisten derselben sogar für Pflanzen. Es wäre hier überflüssig, sie alle zu erörtern;[3] mehrere sind aber für


  1. Godron, De l'espèce. 1859. Tom. II. Buch 3. Quatrefages, Unité de l'espèce humaine. 1861; auch die Vorlesungen über Anthropologie, mitgetheilt in der Revue des Cours Scientifique, 1866—68.
  2. Histoire génér. et partic. des Anomalies de l'Organisation. Tom. I. 1832.
  3. Ich habe diese Gesetze ausführlich in dem Buche „Ueber das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication“. 2. Aufl. Bd. 2. Cap. 22 u.23 erörtert. J. P. Durand hat vor nicht langer Zeit (1868) eine werthvolle Abhandlung veröffentlicht: De l'Influence des Milieus etc. Er legt auf die Beschaffenheit des Bodens grosses Gewicht.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1878, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/52&oldid=- (Version vom 31.7.2018)