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Alcide d'Orbigny führt an,[1] dass sie in Folge des Umstands, dass sie beständig eine sehr verdünnte Luft einathmen, Brustkasten und Lungen von ausserordentlichen Durchmessern erlangt haben. Auch sind die Lungenzellen grösser und zahlreicher als bei Europäern. Diese Beobachtungen sind in Zweifel gezogen worden; aber Mr. D. Forbes hat sorgfältig viele Aymaras, von einer verwandten Rasse, gemessen, welche in der Höhe von zehn und fünfzehntausend Fuss leben; er theilt mir mit,[2] dass sie von den Menschen aller andern Rassen, welche er gesehen habe, auffällig in dem Umfang und der Länge ihrer Körper abweichen. In seiner Tabelle von Maassen wird die Grösse jedes Menschen zu tausend genommen und die andern Maassangaben auf diese Zahl bezogen. Es zeigt sich hier, dass die ausgestreckten Arme der Aymaras kürzer als die der Europäer und viel kürzer als die der Neger sind. Die Beine sind gleichfalls kürzer und sie bieten die merkwürdige Eigenthümlichkeit dar, dass bei jedem durchgemessenen Aymara der Oberschenkel factisch kürzer als das Schienbein ist. Im Mittel verhält sich die Länge des Oberschenkels zu der des Schienbeins wie 211 : 252, während bei zwei zu derselben Zeit gemessenen Europäern die Oberschenkel zu den Schienbeinen sich wie 244 : 230 und bei drei Negern wie 258 : 241 verhielten. Auch der Oberarm ist im Verhältniss zum Unterarm kürzer. Diese Verkürzung des Theils der Gliedmaassen, welcher dem Körper am nächsten ist, scheint mir, wie Mr. Forbes vermuthungsweise andeutet, ein Fall von Compensation im Verhältniss zu der bedeutend vergrösserten Länge des Rumpfs zu sein. Die Aymaras bieten noch einige andre eigenthümliche Punkte in ihrem Körperbau dar, so z. B. das sehr geringe Vorspringen ihrer Fersen.

Diese Leute sind so vollständig an ihren kalten und hohen Aufenthaltsort acclimatisirt, dass sie sowohl früher, als sie von den Spaniern in die niedrigeren östlichen Ebenen hinabgeführt, als auch später, wo sie durch die hohen Lohnsätze versucht wurden, die Goldwäschereien aufzusuchen, eine schreckenerregende Sterblichkeitsziffer darboten. Nichtsdestoweniger fand Mr. Forbes ein paar rein im Blut erhaltene Familien, welche zwei Generationen hindurch leben geblieben waren, und machte die Beobachtung, dass sie noch immer ihre characteristischen


  1. Citirt von Prichard, Researches into the phys. hist. of Mankind. Vol. V, p. 463.
  2. Mr. Forbes’ werthvolle Arbeit ist jetzt publicirt in: Journal of the Ethnological Soc. of London. New Ser. Vol. II. 1870, p. 193.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/58&oldid=- (Version vom 31.7.2018)