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worden sind, so ist es eine interessante Thatsache, dass in mindestens drei Fällen die Eckzähne bedeutend vorspringen, und in dem Kiefer von Naulette sind sie, wie man sagt, enorm.[1]

Nur die Männchen der anthropomorphen Affen haben völlig entwickelte Eckzähne; aber beim weiblichen Gorilla und in einem geringeren Grade beim weiblichen Orang springen diese Zähne beträchtlich über die andern vor; die Thatsache also, dass, wie man mir versichert hat, Frauen zuweilen beträchtlich vorspringende Eckzähne besitzen, bietet keinen ernstlichen Einwand gegen die Annahme dar, dass ihre gelegentlich bedeutende Entwickelung beim Menschen ein Fall von Rückschlag auf die Form des affenähnlichen Urerzeugers sei. Wer die Ansicht verlacht, dass die Form seiner eigenen Eckzähne und deren gelegentliche bedeutende Entwickelung bei andern Menschen Folge des Umstands ist, dass unsere frühen Urerzeuger mit diesen furchtbaren Waffen versehen gewesen sind, wird doch wahrscheinlich im Acte des Verhöhnens seine Abstammung offenbaren. Denn obschon er nicht mehr diese Zähne als Waffen zu gebrauchen geneigt ist und nicht einmal die Kraft dazu hat, so wird er doch unbewusster Weise seine Fletschmuskeln (wie sie Sir C. Bell[2] nennt) zusammenziehen und dadurch jene Zähne ebenso zur Action bereit exponiren, wie ein Hund, der zum Kampfe gerüstet ist.

Gelegentlich entwickeln sich viele Muskeln beim Menschen, welche andern Vierhändern oder andern Säugethieren eigen sind. Professor Vlacovich[3] untersuchte vierzig männliche Leichen und fand bei neunzehn unter ihnen einen Muskel, den er den ischiopubicus nennt; bei drei andern war ein Band vorhanden, welches diesen Muskel ersetzte, und bei den übrigen achtzehn fand sich keine Spur davon. Unter dreissig weiblichen Leichen war dieser Muskel auf beiden Seiten nur bei zweien entwickelt, aber bei drei andern fand sich das rudimentäre Band. Es scheint daher dieser Muskel beim männlichen Geschlecht viel häufiger zu sein als beim weiblichen, und aus dem Princip, nach welchem der Mensch von einer niederen Form abstammt, lässt sich diese Thatsache wohl verstehen. Denn bei mehreren niederen Thieren ist er


  1. C. Carter Blake, on a jaw from La Naulette. Anthropolog. Review, 1867, p. 295. Schaaffhausen, ibid. 1868, p. 426.
  2. The Anatomy of Expression. 1844, p. 110, 131.
  3. Citirt von Prof. Canestrini in dem Annuario etc. 1867, p. 90.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/66&oldid=- (Version vom 31.7.2018)