Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/114

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

scharfer Wahrnehmung und Geschmack für das Schöne ganz gut verträglich, und mit diesen letzteren Eigenschaften haben wir es gerade hier zu thun. Es ist oft gesagt worden, dass Papageien so innig an einander hängen, dass wenn der eine stirbt der andere eine lange Zeit hindurch sich grämt. Mr. Jenner Weir glaubt aber, dass in Bezug auf die meisten Vögel die Stärke ihrer Zuneigung bedeutend übertrieben worden ist. Nichtsdestoweniger hat man gehört, dass wenn einer von einem Paare im Zustande der Freiheit geschossen worden ist, der Ueberlebende tagelang nachher noch einen klagenden Ton ausgestossen hat, und Mr. St. John theilt verschiedene Thatsachen mit,[1] welche die Anhänglichkeit gepaarter Vögel an einander beweisen. Bennett erzählt,[2] dass in China eine Mandarin-Ente, nachdem ihr wunderschöner Enterich gestohlen worden war, ganz untröstlich blieb, obschon ihr andere Enteriche, die alle ihre Reize vor ihr entfalteten, eifrig den Hof machten. Nach Verlauf von drei Wochen wurde der gestohlene Enterich wieder gefunden, und sofort erkannte sich das Paar mit ungeheurer Freude wieder. Andererseits haben wir gesehen, dass Staare dreimal im Verlaufe eines und desselben Tages über den Verlust ihres Gatten getröstet werden können. Tauben haben ein so ausgezeichnetes Ortsgedächtniss, dass sie, wie man in Erfahrung gebracht hat, zu ihren früheren Heimstätten nach einem Verlaufe von neun Monaten wieder zurückgekehrt sind; und doch höre ich von Mr. Harrison Weir, dass, wenn ein Pärchen, welches seiner Natur nach zeitlebens verbunden geblieben sein würde, während des Winters für einige Wochen getrennt und mit anderen Vögeln gepaart wird, die Beiden, wenn sie wieder zusammengebracht werden, selten, wenn überhaupt je, sich einander wiedererkennen.

Vögel zeigen zuweilen wohlwollende Gefühle; sie füttern die verlassenen Jungen selbst verschiedener Arten. Dies könnte man aber vielleicht für einen Misgriff ihres Instincts halten. Sie füttern auch, wie in einem früheren Theile dieses Buches gezeigt wurde, erwachsene Vögel ihrer eigenen Species, welche blind geworden sind. Mr. Buxton gibt eine merkwürdige Schilderung eines Papageien, welcher die Sorge


  1. A Tour in Sutherlandshire, Vol. I, 1849, p. 185. Dr. Buller erzählt (Birds of New Zealand, 1872, p. 56), „dass einst ein männlicher Königs-Lory getödtet wurde; das Weibchen härmte und sehnte sich, verweigerte die Nahrung und starb an gebrochenem Herzen.“
  2. Wanderings in New South Wales, Vol. II, 1834, p. 62.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/114&oldid=- (Version vom 31.7.2018)