Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/121

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

welche vorhin erwähnt wurden. Aber in vielen derartigen Fällen war den Vögeln gestattet worden, sich frei auf grossen Teichen zu bewegen, und es liegt kein Grund zur Vermuthung vor, dass sie durch reichliches Futter unnatürlich erregt worden wären.

Was Vögel im Naturzustande betrifft, so ist die erste sich Jedermann aufdringende und am meisten in die Augen springende Vermuthung die, dass das Weibchen zur gehörigen Zeit das erste Männchen dem es zufällig begegnet annimmt. Dasselbe hat aber wenigstens Gelegenheit eine Wahl auszuüben, da es fast unabänderlich von vielen Männchen verfolgt wird. Audubon — und wir müssen uns erinnern, dass dieser Forscher ein langes Leben hindurch in den Wäldern der Vereinigten Staaten sich herumgetummelt und die Vögel beobachtet hat — zweifelt nicht daran, dass das Weibchen sich mit Ueberlegung seinen Gatten wählt. So spricht er von einem Spechte und erzählt, dass das Weibchen von einem halben Dutzend munterer Liebhaber verfolgt werde, welche beständig fremdartige Geberden ausführen, „bis dem einen in einer ausgesprochenen Weise der Vorzug gegeben wird“. Das Weibchen des rothgeflügelten Staars (Agelaeus phoeniceus) wird gleichfalls von mehreren Männchen verfolgt, „bis dasselbe ermüdet sich niederlässt, die Werbungen der Männchen entgegennimmt und bald darauf eine Wahl trifft“. Er beschreibt auch, wie mehrere männliche Ziegenmelker wiederholt mit erstaunlicher Schnelligkeit durch die Luft streifen, sich plötzlich herumdrehen und dabei ein eigenthümliches Geräusch hervorbringen. „Aber sobald das Weibchen seine Wahl getroffen hat, werden die andern Männchen fortgetrieben“. Bei einer der Geierarten der Vereinigten Staaten (Cathartes aura) versammeln sich Gesellschaften von acht oder zehn oder mehr Männchen und Weibchen auf umgestürzten Stämmen und „zeigen das stärkste Verlangen, sich gegenseitig zu gefallen“; und nach vielen Liebkosungen führt jedes der Männchen seine Gattin im Fluge hinweg. Audubon beobachtete auch sorgfältig die wilden Heerden der Canadagänse (Anser canadensis) und gibt eine lebendige Beschreibung ihrer Liebesgeberden. Er sagt, dass die Vögel, welche sich schon früher gepaart hatten, „ihre Bewerbung sehr zeitig und zwar schon im Monat Januar erneuerten, während die andern jeden Tag sich stundenlang stritten und coquettirten, bis alle sich mit der Wahl, welche sie getroffen hatten, befriedigt zeigten, wonach, trotzdem sie alle zusammenblieben, doch Jedermann leicht beobachten konnte, dass sie sehr ängstlich


Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/121&oldid=- (Version vom 31.7.2018)