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auseinander und biegen sich rund um mit den Spitzen nach vorn. Nun ist es eine merkwürdige Thatsache, dass bei den castrirten Männchen, wie mir Mr. Blyth mittheilt, die Hörner dieselbe eigenthümliche Form wie beim Weibchen haben, aber länger und dicker sind. Wenn wir nach Analogie schliessen dürfen, so zeigt uns wahrscheinlich in diesen beiden Fällen das Weibchen des Rindes und der Antilope den frühern Zustand der Hörner bei irgend einem frühen Urerzeuger jeder Species. Warum aber die Castration das Wiedererscheinen einer früheren Form der Hörner herbeiführen sollte, kann nicht mit irgend welcher Sicherheit erklärt werden. Nichtsdestoweniger scheint es wahrscheinlich zu sein, dass in nahezu derselben Weise, wie die durch eine Kreuzung zwischen zwei verschiedenen Species oder Rassen verursachte constitutionelle Störung der Nachkommen häufig zum Wiedererscheinen lange verloren gegangener Charactere führt,[1] so hier die als Resultat der Castration auftretende Störung in der Constitution des Individuums dieselbe Wirkung hervorbringt.

Die Stosszähne des Elephanten weichen in den verschiedenen Species oder Rassen je nach dem Geschlechte in nahezu derselben Art und Weise ab wie die Hörner der Wiederkäuer. In Indien und Malacca sind allein die Männchen mit wohlentwickelten Stosszähnen versehen. Der Elephant von Ceylon wird von den meisten Naturforschern als eine verschiedene Rasse betrachtet, von einigen sogar als eine verschiedene Species, und hier „findet man nicht einen unter einem Hundert, welcher mit Stosszähnen versehen wäre, und die wenigen, welche sie besitzen, sind ausschliesslich Männchen“.[2] Der africanische Elephant ist zweifellos verschieden; und hier hat das Weibchen grosse wohlentwickelte Stosszähne, wenn auch nicht so grosse wie die des Männchens.

Diese Verschiedenheiten in den Stosszähnen der verschiedenen Rassen und Species von Elephanten — die grosse Variabilität des Geweihes bei hirschartigen Thieren, wie besonders beim wilden Renthier — das gelegentliche Vorhandensein von Hörnern bei der weiblichen Antilope bezoartica und ihr gelegentliches Fehlen bei der weiblichen


  1. Verschiedene Versuche und andere Belege, welche beweisen, dass dies der Fall ist, habe ich in meinem „Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication“, 2. Aufl. Bd. 2, S. 45—53 mitgetheilt.
  2. Sir J. Emerson Tennent, Ceylon, 1859. Vol. II, p. 274. Wegen Malacca s. Journal of Indian Archipelago, Vol. IV, p. 357.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/245&oldid=- (Version vom 31.7.2018)