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Es lässt sich nur wenig daran zweifeln, dass die bedeutendere Grösse und Stärke des Mannes im Vergleiche mit der Frau, in Verbindung mit seinen breiteren Schultern, seiner entwickelteren Muskulatur, seinen eckigeren Körperumrissen, seinem grösseren Muthe und seiner grösseren Kampflust, sämmtlich zum grössten Theile Folgen der Vererbung von seinen frühen halbmenschlichen männlichen Urerzeugern sind. Diese Charactere werden indess auch während der langen Zeiten, wo der Mensch sich noch immer in einem barbarischen Zustande befand, erhalten oder selbst gehäuft worden sein, und zwar durch den Erfolg der stärksten und kühnsten Männer, sowohl in dem allgemeinen Kampfe um’s Leben, als in ihren Streiten um Frauen; einen Kampf, welcher ihnen das Hinterlassen einer zahlreicheren Nachkommenschaft als ihren weniger begünstigten Brüdern sicherte. Es ist nicht wahrscheinlich, dass die grössere Kraft des Mannes ursprünglich durch die vererbten Wirkungen seiner grösseren Thätigkeit erlangt wurde, dass er nämlich um seine eigene Subsistenz wie um die seiner Familie härter gearbeitet habe als die Frau; denn die Frauen sind bei allen barbarischen Nationen gezwungen, mindestens ebenso hart zu arbeiten als die Männer. Bei civilisirten Völkern hat die Entscheidung durch einen Kampf um den Besitz der Frauen lange aufgehört; andererseits haben der allgemeinen Regel zufolge die Männer stärker als die Frauen um ihre gemeinsame Subsistenz zu arbeiten; und hierdurch wird ihre grössere Kraft erhalten worden sein.

Verschiedenheiten in den geistigen Kräften der beiden Geschlechter. – In Bezug auf Verschiedenheiten dieser Natur zwischen dem Manne und der Frau ist es wahrscheinlich, dass geschlechtliche Zuchtwahl eine sehr bedeutende Rolle gespielt hat. Ich weiss sehr wohl, dass einige Schriftsteller bezweifeln, ob überhaupt irgend welche inhärente Verschiedenheit der Art besteht; dies ist aber nach der Analogie mit niederen Thieren, welche andere secundäre Sexualcharactere besitzen, mindestens wahrscheinlich. Niemand wird bestreiten, dass dem Temperament nach der Bulle von der Kuh, der wilde Eber von der Sau, der Hengst von der Stute und, wie den Menageriebesitzern wohlbekannt ist, die Männchen der grösseren Affen von den Weibchen verschieden sind. Die Frau scheint vom Manne in Bezug auf geistige Anlagen hauptsächlich in ihrer grösseren Zartheit und der geringeren Selbstsucht verschieden zu sein; und dies gilt


Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/318&oldid=- (Version vom 31.7.2018)