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als Männer, und soweit dies als Fingerzeig dient, können wir schliessen, dass sie zuerst musikalische Kräfte erlangten, um das andere Geschlecht anzuziehen[1]. Ist dies aber der Fall, so muss dies lange vorher eingetreten sein, ehe unsere Urahnen hinreichend menschlich wurden, um ihre Frauen einfach als nützliche Sclaven zu behandeln und zu schätzen. Der leidenschaftliche Redner, Barde oder Musiker hat, wenn er mit seinen abwechselnden Tönen und Cadenzen die stärksten Gemüthserregungen in seinen Hörnern erregt, wohl kaum eine Ahnung davon, dass er dieselben Mittel benutzt, durch welche in einer äusserst entfernt zurückliegenden Periode seine halbmenschlichen Vorfahren in einander die glühenden Leidenschaften während ihrer gegenseitigen Bewerbung und Rivalität erregten.

Ueber den Einfluss der Schönheit bei der Bestimmung der Heirathen unter den Menschen. – Im civilisirten Leben wird der Mann in grossem Maasse, aber durchaus nicht ausschliesslich, bei der Wahl seines Weibes durch äussere Erscheinung beeinflusst. Wir haben es aber hier hauptsächlich mit den Urzeiten zu thun, und das einzige Mittel, was wir besitzen, uns hier ein Urtheil über diesen Gegenstand zu bilden, ist das, die Gewohnheit jetzt lebender halbcivilisirter und barbarischer Nationen zu studiren. Wenn gezeigt werden kann, dass die Männer aus verschiedenen Rassen Frauen vorziehen, welche gewisse characteristische Eigenschaften besitzen, oder umgekehrt, dass die Frauen gewisse Männer vorziehen, dann haben wir zu untersuchen, ob eine derartige Wahl durch viele Generationen hindurch fortgesetzt, eine irgendwie nachweisbare Wirkung auf die Rasse, entweder auf ein Geschlecht oder auf beide Geschlechter ausüben würde, wobei die letztere Alternative von der vorherrschenden Form der Vererbung abhängt.

Es dürfte zweckmässig sein, zuerst mit einigen Details zu zeigen, dass Wilde auf ihre persönliche Erscheinung die grösste Aufmerksamkeit verwenden[2]. Dass sie eine Leidenschaft für Ornamente haben,


  1. s. eine interessante Erörterung über diesen Gegenstand in Häckel, Generelle Morphologie. Bd. 2. 1866, S. 246.
  2. Eine ausführliche und ausgezeichnete Schilderung der Art und Weise, in welcher Wilde aus allen Theilen der Welt sich schmücken, hat der italienische Reisende, Prof. Mantegazza gegeben in: Rio de la Plata, Viaggi e Studi, 1867, p. 525–545; alle die folgenden Angaben sind, wenn nicht andere Verweisungen gegeben sind, diesem Werke entnommen. s. auch Waitz, Introduction to Anthropology, Vol. I. 1863, p. 275 u. flgde. Auch Lawrence gibt ausführliche Details in seinen Lectures on Physiology, 1822. Seitdem dies Capitel geschrieben wurde, hat Sir J. Lubbock sein „Origin of Civilisation“, 1870, herausgegeben, worin sich ein interessantes Capitel über den vorliegenden Gegenstand findet und woraus (p. 42, 48) ich einige Thatsachen in Bezug auf das Färben der Zähne und Haare und das Anbohren der Zähne bei Wilden entnommen habe.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/332&oldid=- (Version vom 31.7.2018)