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im malayischen Archipel feilen die Eingeborenen die Schneidezähne spitz zu wie die Sägezähne oder durchbohren sie mit Löchern, in welche sie Klötzchen stecken.

Wie bei uns das Gesicht hauptsächlich seiner Schönheit wegen bewundert wird, so ist es bei Wilden der vorzügliche Sitz der Verstümmelung. In allen Theilen der Welt werden die Nasenscheidewand, seltener die Flügel der Nase durchbohrt und Ringe, Stäbchen, Federn und andere Zierathen in die Löcher eingefügt. Die Ohren werden überall durchbohrt und ähnlich verziert, und bei den Botokuden und Lenguas von Südamerica wird das Loch allmählich so erweitert, dass der untere Rand des Ohrläppchens die Schulter berührt. In Nord- und Südamerica und in Africa wird entweder die obere oder die untere Lippe durchbohrt, und bei den Botokuden ist das Loch in der Unterlippe so gross, dass eine Holzscheibe von vier Zoll Durchmesser hineingethan wird. Mantegazza gibt einen merkwürdigen Bericht über die von einem südamericanischen Eingeborenen empfundene Scham und von dem Gelächter, welches er erregte, als er seine „Tembeta“, das grosse gefärbte Stück Holz, welches durch das Loch gesteckt wird, verkaufte. In Centralafrica durchbohren die Frauen die untere Lippe und tragen einen Krystall darin, welcher in Folge der Bewegung der Zunge „während der Unterhaltung eine unbeschreiblich lächerliche tanzende Bewegung macht“. Die Frau des Häuptlings von Latooka sagte Sir S. Baker,[1] dass „Lady Baker sich sehr verschönern würde, wenn sie ihre Vorderzähne aus der unteren Kinnlade herausziehen und den langen zugespitzten, polirten Krystall in ihrer Unterlippe tragen wollte“. Weiter nach Süden, bei den Makalolo, wird die Oberlippe durchbohrt und ein grosser metallener und Bambus-Ring, „Pelelé“ genannt, in dem Loche getragen. „Dies veranlasste es, dass in einem Falle die Lippe zwei Zoll über die Nasenspitze vorragte, und als die Dame lächelte, hob die Contraction der Muskeln die Lippe bis über die Augen. Warum tragen die Frauen diese Dinge? wurde der ehrbare Häuptling Chinsurdi gefragt. Offenbar erstaunt über eine so dumme Frage erwiederte er: der Schönheit wegen! Es sind dies die einzigen schönen Dinge, welche die Frauen haben. Männer haben Bärte, Frauen haben keine. Was für eine Art Person


  1. The Albert Nyanza, 1866, Vol. I, p. 217.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/335&oldid=- (Version vom 31.7.2018)