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durch die Männer einer jeden Rasse je nach ihrem Maassstabe von Geschmack dahin geführt haben wird, alle Individuen beider Geschlechter, die zu der Rasse gehören, in einer und derselben Weise zu modificiren.

Was die andere Form geschlechtlicher Zuchtwahl betrifft (welche bei den niederen Thieren bei weitem die häufigste ist), nämlich wo das Weibchen der auswählende Theil ist und nur diejenigen Männchen annimmt, welche sie am meisten anregen oder entzücken, so haben wir Grund zu glauben, dass sie früher auf die Urerzeuger des Menschen gewirkt hat. Der Mann verdankt aller Wahrscheinlichkeit nach seinen Bart und vielleicht einige andere Charactere der Vererbung von einem alten Urerzeuger, welcher seine Zierathen in dieser Weise erlangte. Es kann aber diese Form von Zuchtwahl gelegentlich auch während späterer Zeiten gewirkt haben; denn bei völlig barbarischen Stämmen sind die Frauen mehr in der Lage, ihre Liebhaber zu wählen, zu verwerfen und zu versuchen, oder später ihre Ehemänner zu wechseln, als sich hätte erwarten lassen. Da dies ein Punkt von einiger Bedeutung ist, will ich die Belege, die ich zu sammeln im Stande gewesen bin, im Detail mittheilen.

Hearne beschreibt, wie eine Frau in einem der Stämme des arctischen America wiederholt ihrem Ehemanne davonlief und sich mit dem geliebten Manne verband; und bei den Charruas von Südamerica ist, wie Azara anführt, die Fähigkeit der Scheidung vollkommen frei. Wenn bei den Abiponen ein Mann ein Weib sich wählt, so handelt er mit den Eltern um den Preis. Aber „es kommt häufig vor, dass das Mädchen durch alles Das, was zwischen den Eltern und dem Bräutigam abgemacht worden ist, einen Strich zieht und hartnäckig auch nur die Erwähnung der Heirath verweigert“. Sie läuft häufig davon, verbirgt sich und verspottet damit den Bräutigam. Capitain Musters, welcher unter den Patagoniern lebte, sagt, dass ihre Ehen immer durch Neigung begründet werden; „wenn die Eltern eine Partie gegen den Willen der Tochter abmachen, so verweigert sie dieselbe und wird niemals gezwungen, nachzugeben“. Im Feuerlande erhält ein junger Mann zuerst die Zustimmung der Eltern dadurch, dass er ihnen irgend einen Dienst erweist, und dann versucht er das Mädchen fortzuführen; „will sie aber nicht, so verbirgt sie sich in den Wäldern, bis ihr Bewunderer von Herzen ermüdet ist, nach ihr zu lugen, und die Verfolgung aufgibt; dies kommt aber selten vor“. Auf den

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/365&oldid=- (Version vom 31.7.2018)