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und der Vererbung besser verstanden werden, werden wir nicht unwissende Glieder unserer gesetzgebenden Körperschaften verächtlich einen Plan zu Ermittelung der Frage zurückweisen hören, ob blutsverwandte Heirathen für den Menschen schädlich sind oder nicht.

Der Fortschritt des Wohles der Menschheit ist ein äusserst verwickeltes Problem. Alle sollten sich des Heirathens enthalten, welche ihren Kindern die grösste Armuth nicht ersparen können, denn Armuth ist nicht bloss ein grosses Uebel, sondern führt auch zu ihrer eigenen Vergrösserung, da sie Unbedachtsamkeit beim Verheirathen herbeiführt. Auf der andern Seite werden, wie Mr. Galton bemerkt hat, wenn die Klugen das Heirathen vermeiden, während die Sorglosen heirathen, die untergeordneteren Glieder der menschlichen Gesellschaft die besseren zu verdrängen streben. Wie jedes andere Thier ist auch der Mensch ohne Zweifel auf seinen gegenwärtigen hohen Zustand durch einen Kampf um die Existenz als Folge seiner rapiden Vervielfältigung gelangt, und wenn er noch höher fortschreiten soll, so muss er einem heftigen Kampfe ausgesetzt bleiben. Im andern Falle würde er in Indolenz versinken und die höher begabten Menschen würden im Kampfe um das Leben nicht erfolgreicher sein als die weniger begabten. Es darf daher unser natürliches Zunahmeverhältniss, obschon es zu vielen und offenbaren Uebeln führt, nicht durch irgend welche Mittel bedeutend verringert werden. Es muss für alle Menschen offene Concurrenz bestehen, und es dürfen die Fähigsten nicht durch Gesetze oder Gebräuche daran verhindert werden, den grössten Erfolg zu haben und die grösste Zahl von Nachkommen aufzuziehen. So bedeutungsvoll der Kampf um die Existenz gewesen ist und noch ist, so sind doch, soweit der höchste Theil der menschlichen Natur in Betracht kommt, andere Kräfte noch bedeutungsvoller; denn die moralischen Eigenschaften sind entweder direct oder indirect viel mehr durch die Wirkung der Gewohnheit, die Kraft der Ueberlegung, Unterricht, Religion u. s. w. fortgeschritten, als durch natürliche Zuchtwahl, obschon dieser letzteren Kraft die socialen Instincte, welche die Grundlage für die Entwickelung des moralischen Gefühls dargeboten haben, ruhig zugeschrieben werden können.


Die hauptsächlichste Folgerung, zu welcher ich in diesem Werke gelangte, nämlich dass der Mensch von einer niedriger organisirten Form abgestammt ist, wird für viele Personen, wie ich zu meinem Bedauern wohl annehmen kann, äusserst widerwärtig sein. Es lässt sich aber kaum daran zweifeln, dass wir von Barbaren abstammen.

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/393&oldid=- (Version vom 31.7.2018)