Wenn Kinder schreien oder in Weinen ausbrechen, so ziehen sie, wie wir wissen, die Kreismuskeln, die Augenbrauenrunzler und die Pyramidenmuskeln zusammen, ursprünglich zum Zwecke, ihre Augen zusammenzudrücken und sie hierdurch vor einer Blutüberfüllung zu schützen, später dann aus Gewohnheit. Ich erwartete daher bei Kindern zu finden, daß, wenn sie versuchten entweder den Ausbruch des im Anzuge begriffenen Weinens zu verhindern oder das Weinen zu unterdrücken, sie die Zusammenziehung der obengenannten Muskeln in derselben Weise hemmen würden, wie wenn sie nach aufwärts in helles Licht sehen, daß folglich häufig die mittlern Bündel des Stirnmuskels in Thätigkeit kommen würden. Demzufolge begann ich selbst, Kinder zu solchen Zeiten zu beobachten, und bat Andere, darunter mehrere Ärzte, dasselbe zu thun. Es ist nothwendig, sorgfältig zu beobachten, da die eigenthümlich entgegengesetzte Wirkung dieser Muskeln bei Kindern nicht nahezu so deutlich ist wie bei Erwachsenen, weil bei ihnen die Stirn nicht so leicht gefaltet wird. Ich erkannte aber bald, daß bei derartigen Gelegenheiten die Gram-Muskeln sehr häufig in sehr entschiedene Thätigkeit kamen. Es würde überflüssig sein, hier sämmtliche Fälle anzuführen, welche beobachtet wurden; ich will nur einige wenige einzeln mittheilen. Ein kleines, anderthalb Jahr altes Mädchen wurde von mehreren andern Kindern gequält; ehe es in Thränen ausbrach, wurden die Augenbrauen ganz entschieden schräg gestellt. Bei einem etwas ältern Mädchen wurde dieselbe schräge Stellung beobachtet, wobei die innern Enden der Augenbrauen deutlich faltig anschwollen; gleichzeitig wurden auch die Mundwinkel nach abwärts gezogen. Sobald es in Thränen ausbrach, änderten sich sämmtliche Gesichtszüge und die besondere Ausdrucksform verschwand. Nachdem ferner ein kleiner Junge geimpft worden war, was ihn zu heftigem Schreien und Weinen gebracht hatte, gab ihm der Arzt eine zu diesem Zwecke mitgebrachte Apfelsine, was dem Kinde ungemeines Vergnügen machte; als es zu weinen aufhörte, wurden alle die characteristischen Bewegungen beobachtet, mit Einschluß der Bildung der rechtwinkligen Falten auf der Mitte der Stirn. Endlich begegnete ich auf der Straße einem kleinen, drei oder vier Jahre alten Mädchen, welches von einem Hunde erschreckt worden war; als ich sie frug, was ihr begegnet sei, hörte sie auf zu weinen und im Augenblicke wurden ihre Augen in einem außerordentlichen Grade schräg gestellt.
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/183&oldid=- (Version vom 31.7.2018)