nachdem ihre Schwester die Gewohnheit bereits verloren hatte. Anfangs war sie ihrem Pariser Großvater in einem mindern Grade ähnlich als ihre Schwester in demselben Alter es war. Jetzt ist sie es aber in einem noch größeren Grade. Auch sie übt noch bis heute die eigenthümliche Gewohnheit aus, wenn sie ungeduldig etwas verlangt, ihren Daumen und ihre zwei Vorderfinger aufeinander zu reiben.
In diesem letztern Falle liegt ein gutes Beispiel vor für die in einem frühern Capitel gegebene Thatsache von der Vererbung eines Zuges oder einer Geberde. Denn ich vermuthe doch, daß Niemand eine so eigenthümliche Gewohnheit wie diese, welche dem Großvater und zweien seiner Enkelkinder gemeinsam war, die ihn nie gesehen hatten, einem bloß zufälligen Zusammentreffen zuschreiben wird.
Betrachtet man alle diese Verhältnisse in Bezug auf den Umstand, daß diese Kinder mit ihren Schultern zuckten, so läßt sich kaum bezweifeln, daß sie diese Gewohnheit von ihren französischen Vorfahren geerbt hatten, trotzdem sie nur ein Viertel französischen Blutes in ihren Adern hatten und trotzdem ihr Großvater nicht häufig mit seinen Schultern zuckte. Darin, daß diese Kinder durch Vererbung eine Gewohnheit in früher Kindheit erlangt und dann wieder aufgegeben haben, liegt nichts sehr Ungewöhnliches, wenn auch die Thatsache interessant ist. Denn es ist eine bei vielen Arten von Thieren häufig vorkommende Thatsache, daß gewisse Charactere eine gewisse Zeit lang von den Jungen beibehalten, dann aber verloren werden.
Da es mir eine Zeit lang in hohem Grade unwahrscheinlich erschien, daß eine so complicirte Geberde wie das Zucken mit den Schultern in Verbindung mit den dasselbe begleitenden Bewegungen angeboren sein sollte, so war ich begierig, zu ermitteln, ob die blinde und taube Laura Beidgman, welche die Angewohnheit nicht durch Nachahmung erlernt haben kann, sie ausübte. Und ich habe nun durch Dr. Innes von einer Dame, welche noch kürzlich das Kind unter ihrer Pflege hatte, gehört, daß sie mit ihren Schultern zuckt, ihre Ellenbogen nach innen dreht und ihre Augenbrauen in derselben Weise wie andere Leute und unter ähnlichen Umständen erhebt. Ich war auch begierig, zu erfahren, ob diese Geberde von den verschiedenen Menschenrassen ausgeführt würde, besonders von denen, welche niemals irgend welchen bedeutenden Verkehr mit Europäern gehabt hatten, und wir werden sehen, daß sie diese Bewegung ausführen.
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/262&oldid=- (Version vom 31.7.2018)