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denn das Gesicht wird dabei unter Umständen abgewendet oder verborgen, welche jeden Wunsch, die Scham zu verbergen, ausschließen, so wenn eine Schuld umständlich bekannt und bereut wird. Es ist indeß wahrscheinlich, daß der Urmensch, ehe er eine große moralische Empfindlichkeit erlangt hatte, im hohen Grade in Bezug auf seine persönliche Erscheinung empfindlich gewesen ist, wenigstens in Rücksicht auf das andere Geschlecht, und er wird in Folge dessen bei jeder geringschätzigen Bemerkung über seine Erscheinung Unbehagen empfunden haben. Dies ist eine Form der Scham: und da das Gesicht derjenige Theil des Körpers ist, welcher am meisten angesehen wird, so ist es verständlich, daß ein Jeder, der über seine persönliche Erscheinung in Scham geräth, den Wunsch haben wird, diesen Theil seines Körpers zu verbergen. Ist die Gewohnheit einmal hiernach erlangt werden, so wird sie natürlich beibehalten worden sein, wenn Scham aus streng moralischen Ursachen empfunden wurde. Es ist nicht leicht in anderer Weise einzusehen, warum unter diesen Umständen ein Verlangen noch vorhanden sein sollte, das Gesicht mehr als irgend einen anderen Theil des Körpers zu verbergen.

Die bei einem Jeden, der sich beschämt fühlt, so allgemeine Angewöhnung, sich wegzuwenden oder seine Augen zu senken, oder dieselben unruhig von einer Seite zur andern zu bewegen, ist wahrscheinlich eine Folge davon, daß jeder auf die Personen, welche gegenwärtig sind, gerichtete Blick die Überzeugung ihm wieder vor die Seele führt, daß er intensiv betrachtet wird; und er versucht daher dadurch, daß er die gegenwärtigen Personen und besonders ihre Augen nicht ansieht, momentan dieser peinlichen Überzeugung zu entgehen.


Schüchternheit. — Dieser merkwürdige Seelenzustand, der häufig auch Blödigkeit oder falsche Scham oder ,mauvaise honte' genannt wird, scheint eine der allerwirksamsten unter allen Ursachen des Erröthens zu sein. Es wird allerdings die Schüchternheit hauptsächlich durch die Röthung des Gesichts, durch das Wegwenden oder Niederschlagen der Augen und durch eigenthümliche verkehrte nervöse Bewegungen des Körpers erkannt. So manche Frau erröthet aus dieser Ursache vielleicht hundert oder tausendmal, während sie nur ein einziges Mal deshalb erröthet, daß sie irgend etwas gethan hat,


Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/321&oldid=- (Version vom 31.7.2018)