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versichert sind, so z. B. ein Mädchen in der Gegenwart ihrer Mutter. Ich habe es versäumt, in meinen gedruckten Fragebogen nachzuforschen, ob Schüchternheit bei den verschiedenen Menschenrassen entdeckt werden kann. Aber ein gebildeter Hindu versicherte Mr. Erskine, daß dieselbe bei seinen Landsleuten zu erkennen sei.

Wie die Ableitung des Wortes in mehreren Sprachen andeutet,[1] ist Schüchternheit oder Scheuheit mit Furcht nahe verwandt. Doch ist sie im gewöhnlichen Sinne von Furcht verschieden. Ein schüchterner Mensch fürchtet ohne Zweifel die Beachtung Fremder; man kann aber kaum sagen, daß er sich vor ihnen fürchtet. Er kann so kühn wie ein Held in der Schlacht sein, und doch hat er in der Gegenwart von Fremden kein Selbstvertrauen in kleinlichen Dingen. Beinahe Jedermann ist außerordentlich nervös, wenn er zuerst eine öffentliche Versammlung anredet, und die meisten Menschen behalten dies ihr ganzes Leben lang. Dies scheint aber von dem Bewußtsein einer noch bevorstehenden großen Anstrengung mit deren associirten Wirkungen auf den Körper abzuhängen, und zwar wohl eher hiervon als von Schüchternheit,[2] obschon ein furchtsamer oder schüchterner Mensch ohne Zweifel bei derartigen Gelegenheiten unendlich mehr leidet als ein anderer. Bei sehr kleinen Kindern ist es schwierig, zwischen Furcht und Schüchternheit zu unterscheiden. Das letztere Gefühl hat mir aber häufig bei ihnen theilweise den Character der Wildheit eines nicht gezähmten Thieres darzubieten geschienen. Schüchternheit tritt in einem sehr frühen Alter ein. Bei einem meiner eigenen Kinder sah ich, als es zwei Jahre und drei Monate alt war, eine Spur von dem, was sicher Schüchternheit zu sein schien und zwar in Bezug auf mich selbst, nachdem ich nur eine Woche vom Hause abwesend gewesen war. Es zeigte sich dies nicht durch ein Erröthen, sondern dadurch, daß die Augen wenige Minuten leicht von mir weggewendet wurden. Ich habe bei andern Gelegenheiten bemerkt, daß Schüchternheit oder Blödigkeit und wirkliche Scham in den Augen kleiner Kinder gezeigt werden, ehe sie die Fähigkeit zu erröthen erlangt haben.


  1. Mr. Wedgwood, Diction. English Etymology, Vol. III, 1865, p. 184; dasselbe gilt für das lateinische verecundus.
  2. Mr. Bain (The Emotions and the Will, p. 64) hat die „verlegenen“, bei solchen Gelegenheiten empfundenen Gefühle erörtert, ebenso das „Lampenfieber“ der der Bühne ungewohnten Schauspieler. Wie es scheint, schreibt Mr. Bain diese Gefühle einfach der Besorgnis oder der Furchtsamkeit zu.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/323&oldid=- (Version vom 31.7.2018)