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ganzen Muskelsystems afficirte, und zum Theil mag dies auch wirklich die Ursache gewesen sein.


Wir wollen nun untersuchen, auf welche Weise das Princip des Gegensatzes beim Ausdrucke entstanden ist. Bei gesellig lebenden Thieren ist das Vermögen gegenseitiger Mittheilung zwischen den Gliedern einer und derselben Gemeinde, — und bei andern Arten zwischen den verschiedenen Geschlechtern ebenso wie zwischen den Jungen und Alten —, von der größten Bedeutung für sie. Diese Mittheilungen werden meist mittelst der Stimme bewirkt; es ist aber sicher, daß Geberden und ausdrucksvolle Stellungen in einem gewissen Grade gegenseitig verstanden werden. Der Mensch gebraucht nicht bloß inarticulirte Ausrufe, Geberden und ausdrucksvolle Mienen, sondern hat noch die articulirte Sprache erfunden, wenn freilich das Wort „erfunden“ auf einen Proceß angewendet werden kann, der sich durch zahllose halb unbewußt gethane Abstufungen vollzogen hat. Ein Jeder, welcher Affen beobachtet hat, wird nicht daran zweifeln, daß sie vollkommen die Geberden und den Ausdruck unter einander und, wie Rengger bemerkt, auch die des Menschen verstehen.[1] Wenn ein Thier im Begriffe ist, ein anderes anzugreifen, oder auch, wenn es sich vor einem andern fürchtet, macht es sich häufig in seiner äußern Erscheinung schreckenerregend, es richtet das Haar auf, vermehrt dadurch scheinbar den Umfang seines Körpers, zeigt die Zähne, oder schwingt seine Hörner, oder stößt wüthende Laute aus.

Da das Vermögen der gegenseitigen Mittheilung sicherlich für viele Thiere von großem Nutzen ist, so hat die Vermuthung a priori nichts Unwahrscheinliches in sich, daß Geberden, welche offenbar entgegengesetzter Natur sind, verglichen mit denen, durch welche gewisse Gefühle bereits ausgedrückt werden, zuerst willkürlich unter dem Einflusse eines entgegengesetzten Gefühlszustandes angewendet worden sein dürften. Die Thatsache, daß die Geberden jetzt angeboren sind, bietet keinen gültigen Einwurf gegen die Annahme dar, daß sie ursprünglich beabsichtigt waren; denn werden sie viele Generationen hindurch ausgeführt, so werden sie wahrscheinlich schließlich vererbt werden. Nichtsdestoweniger ist es mehr als zweifelhaft, wie wir sofort sehen werden, ob irgend welche von den Fällen, welche


  1. Naturgeschichte der Säugethiere von Paraguay. 1830. S. 55.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/60&oldid=- (Version vom 31.7.2018)