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wie im fürchterlichsten Erstaunen wild hinaus oder die Augenbrauen sind heftig zusammengezogen. Der Körper ist von Schweiß gebadet und Tropfen rieseln das Gesicht herab. Die Circulation und Respiration sind bedeutend afficirt. Die Nasenlöcher sind daher meist erweitert und erzittern oft, oder der Athem wird so lange angehalten, bis das Blut in dem purpurrothen Gesichte stillsteht. Wenn die Seelenangst sehr heftig und lang anhaltend ist, so verändern sich alle diese Anzeichen. Die äußerste Erschöpfung folgt mit Ohnmachten oder Convulsionen.

Wenn ein Empfindungsnerv gereizt wird, so überliefert er einen gewissen Reiz der Nervenzelle, von welcher er ausgeht, und diese gibt ihren Reiz wieder zuerst an die entsprechende Nervenzelle der entgegengesetzten Körperseite und dann auf- und abwärts dem cerebrospinalen Nervenstrange entlang an andere Nervenzellen, und zwar in größerer oder geringer Ausdehnung je nach der Stärke des ursprünglichen Reizes, so daß zuletzt das ganze Nervensystem afficirt werden kann.[1] Diese unwillkürliche Überlieferung von Nervenkraft kann mit vollständigem Bewußtsein erfolgen oder auch ohne dasselbe. Warum die Erregung einer Nervenzelle Nervenkraft erzeugt oder freimacht, ist nicht bekannt; aber daß dies der Fall ist, scheint eine Folgerung zu sein, zu welcher die sämmtlichen bedeutenderen Physiologen, wie Johannes Müller, Virchow, Bernard u.s.w.[2] gelangt sind. Mr. Herbert Spencer bemerkt, daß man es als „eine gar nicht weiter fragliche Wahrheit annehmen kann, daß die in irgend einem Augenblicke vorhandene Quantität freigewordener Nervenkraft, welche in einer nicht weiter erforschbaren Weise in uns den Zustand hervorruft, den wir Fühlen nennen, sich in irgend einer Richtung ausdehnen muß und eine gleich große Offenbarung von Kraft irgendwo anders erzeugen muß“, so daß, wenn das Cerebrospinalsystem heftig gereizt und Nervenkraft im Überschusse frei gemacht wird, letztere sich in heftigen Empfindungen, lebendigem Denken, heftigen Bewegungen


  1. s. über diesen Gegenstand Claude Bernard, Tissus vivants. 1866, p. 316, 337, 358. Virchow drückt sich fast genau ebenso darüber aus in seiner Abhandlung „Über das Rückenmark“ (Sammlung wissenschaftlicher Vorträge 1871, S. 28).
  2. Joh. Müller sagt bei Schilderung der Nerventhätigkeit: „Jeder schnelle Übergang in den Zuständen der Seele ist im Stande eine Entladung zu bewirken“ (Handbuch der Physiol. Bd. 2. S. 89). s. Virchow und Bernard über denselben Gegenstand an Stellen der in der vorigen Anmerkung erwähnten Werke.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/70&oldid=- (Version vom 31.7.2018)