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gefunden hatte, nahm ich die Stigmata aus zwanzig Blüthen von verschiedenen Zweigen unter das Mikroscop und entdeckte an allen ohne Ausnahme einige Pollenkörner und an einigen sogar eine ungeheure Menge derselben. Da der Wind schon einige Tage lang vom weiblichen gegen den männlichen Stamm hin geweht hatte, so konnte er nicht den Pollen dahin geführt haben. Das Wetter war schon einige Tage lang kalt und stürmisch und daher nicht günstig für die Bienen gewesen, und demungeachtet war jede von mir untersuchte weibliche Blüthe durch die Bienen befruchtet worden, welche beim Aufsuchen von Nectar von Baum zu Baum geflogen waren. Doch kehren wir nun zu unserem ersonnenen Falle zurück. Sobald jene Pflanze in solchem Grade anziehend für die Insecten gemacht worden ist, daß sie den Pollen regelmäßig von einer Blüthe zur andern tragen, wird ein anderer Proceß beginnen. Kein Naturforscher zweifelt an dem Vortheil der sogenannten „physiologischen Theilung der Arbeit“; daher darf man glauben, es sei nützlich für eine Pflanzenart, in einer Blüthe oder an einem ganzen Stocke nur Staubgefäße und in der andern Blüthe oder auf dem andern Stocke nur Pistille hervorzubringen. Bei cultivirten oder in neue Existenzbedingungen versetzten Pflanzen schlagen manchmal die männlichen und zuweilen die weiblichen Organe mehr oder weniger fehl. Nehmen wir nun an, dies geschehe in einem wenn auch noch so geringen Grade im Naturzustande derselben, so würden, da der Pollen schon regelmäßig von einer Blüthe zur andern geführt wird und eine noch vollständigere Trennung der Geschlechter unserer Pflanze ihr nach dem Principe der Arbeitstheilung vortheilhaft ist, Individuen mit einer mehr und mehr entwickelten Tendenz dazu fortwährend begünstigt und zur Nachzucht ausgewählt werden, bis endlich die Trennung der Geschlechter vollständig wäre. Es würde zu viel Raum erfordern, die verschiedenen Wege, durch Dimorphismus und andere Mittel, nachzuweisen, auf welchen die Trennung der Geschlechter bei Pflanzen verschiedener Arten offenbar jetzt fortschreitet. Indeß will ich noch anführen, daß sich nach Asa Gray einige Arten von Stechpalmen in Nord-America in einem genau intermediären Zustande befinden, deren Blüthen, wie der genannte Botaniker sich ausdrückt, mehr oder weniger diöcisch-polygam sind.

Kehren wir nun zu den von Nectar lebenden Insecten zurück; wir können annehmen, die Pflanze, deren Nectarbildung wir durch fortdauernde Zuchtwahl langsam vergrößert haben, sei eine gemeine Art

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/122&oldid=- (Version vom 31.7.2018)