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Wie viel von der Acclimatisirung der Arten an ein besonderes Clima bloß Gewohnheitssache sei, und wie viel von der natürlichen Zuchtwahl von Varietäten mit verschiedenen angeborenen Körperverfassungen abhänge, oder wie weit beide Ursachen zusammenwirken, ist eine dunkle Frage. Daß Gewohnheit und Übung einigen Einfluß habe, muß ich sowohl nach der Analogie als nach den immer wiederkehrenden Warnungen wohl glauben, welche in allen landwirthschaftlichen Werken, selbst in alten chinesischen Encyclopädien, enthalten sind, recht vorsichtig bei Versetzung von Thieren aus einer Gegend in die andere zu sein. Und da es nicht wahrscheinlich ist, daß die Menschen mit Erfolg so viele Rassen und Unterrassen ausgewählt haben, welche ihren eigenen Gegenden angepasste Constitutionen gehabt hätten, so muß das Ergebnis, wie ich denke, vielmehr von der Gewöhnung herrühren. Andererseits würde die natürliche Zuchtwahl beständig diejenigen Individuen zu erhalten streben, welche mit den für ihre Heimathgegenden am besten geeigneten Körperverfassungen geboren sind. In Schriften über verschiedene Sorten cultivirter Pflanzen heißt es von gewissen Varietäten, daß sie dieses oder jenes Clima besser als andere ertragen. Dies ergibt sich sehr schlagend aus den in den Vereinigten Staaten erschienenen Werken über Obstbaumzucht, worin beständig gewisse Varietäten für die nördlichen und andere für die südlichen Staaten empfohlen werden; und da die meisten dieser Abarten noch neuen Ursprungs sind, so kann man die Verschiedenheit ihrer Constitutionen in dieser Beziehung nicht der Gewöhnung zuschreiben. Man hat selbst die Jerusalem-Artischoke, welche sich in England nie aus Samen fortgepflanzt und daher niemals neue Varietäten geliefert hat (denn sie ist jetzt noch so empfindlich wie je), als Beweis angeführt, daß es nicht möglich sei, eine Acclimatisirung zu bewirken; zu gleichem Zwecke hat man sich auch oft auf die Schminkbohne, und zwar mit viel größerem Nachdrucke berufen. So lange aber nicht Jemand einige Dutzend Generationen hindurch Schminkbohnen so frühzeitig ausgesäet hat, daß ein sehr großer Theil derselben durch Frost zerstört wurde, und dann mit der gehörigen Vorsicht zur Vermeidung von Kreuzungen seine Samen von den wenigen überlebenden Stücken genommen und von deren Sämlingen mit gleicher Vorsicht abermals seine Samen erzogen hat, so lange wird man nicht sagen können, daß auch nur der Versuch angestellt worden sei. Auch darf man nicht annehmen, daß nicht zuweilen

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/177&oldid=- (Version vom 31.7.2018)