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noch einige, man sagt ein Dutzend, ja selbst zwanzig Generationen lang. Nun ist zwar nach zwölf Generationen, nach der gewöhnlichen Ausdrucksweise, das Verhältnis des Blutes des einen fremden Vorfahren nur noch 1 in 2048, und doch genügt nach der, wie wir sehen allgemeinen Annahme dieser äußerst geringe Bruchtheil fremden Blutes noch, um eine Neigung zum Rückschlag in jenen Urstamm zu unterhalten. In einer Rasse, welche nicht gekreuzt worden ist, sondern worin beide Eltern einige von den Characteren ihrer gemeinsamen Stammart eingebüßt haben, dürfte die Neigung den verlorenen Character wieder herzustellen, mag sie stärker oder schwächer sein, wie schon früher bemerkt worden, trotz Allem, was man Gegentheiliges sehen mag, sich fast jede Anzahl von Generationen hindurch erhalten. Wenn ein Character, der in einer Rasse verloren gegangen ist, nach einer großen Anzahl von Generationen wiederkehrt, so ist die wahrscheinlichste Hypothese nicht die, daß ein Individuum jetzt plötzlich nach einem mehrere hundert Generationen älteren Vorgänger zurückstrebt, sondern die, daß in jeder der aufeinanderfolgenden Generationen der fragliche Character noch latent vorhanden gewesen ist und nun endlich unter unbekannten günstigen Verhältnissen zum Durchbruch gelangt. So ist es z. B. wahrscheinlich, daß in jeder Generation der Barb-Taube, welche nur selten einen blauen Vogel hervorbringt, das latente Streben ein blaues Gefieder hervorzubringen vorhanden ist. Die Unwahrscheinlichkeit, daß eine latente Neigung durch eine endlose Zahl von Generationen fortgeerbt werde, ist nicht größer, als die thatsächlich bekannte Vererbung eines ganz unnützen oder rudimentären Organes. Und wir können allerdings zuweilen beobachten, daß ein solches Streben ein Rudiment hervorzubringen vererbt wird.

Da nach meiner Theorie alle Arten einer Gattung gemeinsamer Abstammung sind, so ist zu erwarten, daß sie zuweilen in analoger Weise variiren, so daß die Varietäten zweier oder mehrerer Arten einander, oder die Varietät einer Art in einigen ihrer Charactere einer anderen und verschiedenen Art gleicht, welche ja nach meiner Meinung nur eine ausgebildete und bleibend gewordene Abart ist. Doch dürften solche, ausschließlich durch analoge Abänderung erlangte Charactere nur unwesentlicher Art sein: denn die Erhaltung aller functionell wesentlichen Charactere wird durch natürliche Zuchtwahl in Übereinstimmung mit den verschiedenen Lebensweisen der Arten bestimmt

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/194&oldid=- (Version vom 31.7.2018)