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nämlich Fliegen zu verscheuchen, immer besser und besser angepaßt war, hergerichtet worden sein solle. Doch hüten wir uns selbst in diesem Falle uns allzu bestimmt auszusprechen, indem wir ja wissen, daß das Dasein und die Verbreitungweise des Rindes und anderer Thiere in Süd-America unbedingt von deren Vermögen abhängt den Angriffen der Insecten zu widerstehen; daher wären Individuen, welche einigermaßen mit Mitteln zur Vertheidigung gegen diese kleinen Feinde versehen sind, geschickt, sich über neue Weideplätze zu verbreiten und dadurch große Vortheile zu erlangen. Nicht als ob große Säugethiere (einige seltene Fälle ausgenommen) wirklich durch Fliegen vertilgt würden; aber sie werden von ihnen so unausgesetzt ermüdet und geschwächt, daß sie Krankheiten mehr ausgesetzt werden oder bei eintretender Hungersnoth nicht so gut im Stande sind, sich Nahrung zu suchen, oder den Nachstellungen der Raubthiere in weit größerer Anzahl erliegen.

Organe von jetzt unwesentlicher Bedeutung sind wahrscheinlich in manchen Fällen frühen Vorfahren von hohem Werthe gewesen und nach früherer langsamer Vervollkommnung in ungefähr demselben Zustande auf deren Nachkommen vererbt worden, obwohl ihr jetziger Nutzen nur noch sehr unbedeutend ist; dagegen werden wirklich schädliche Abweichungen in ihrem Baue durch natürliche Zuchtwahl immer gehindert worden sein. Wenn man beobachtet, was für ein wichtiges Organ der Ortsbewegung der Schwanz für die meisten Wasserthiere ist, so läßt sich seine allgemeine Anwesenheit und Verwendung zu mancherlei Zwecken bei so vielen Landthieren, welche durch ihre modificirten Schwimmblasen oder Lungen ihre Abstammung von Wasserthieren verrathen, vielleicht daraus erklären. Nachdem ein Wasserthier einmal mit einem wohl entwickelten Schwanze ausgestattet war, kann derselbe später zu den mannichfaltigsten Zwecken umgearbeitet worden sein, zu einem Fliegenwedel, zu einem Greifwerkzeug, oder zu einem Mittel schneller Wendung im Laufe, wie es beim Hunde der Fall ist, obwohl die Hülfe in letzterem Falle nur schwach sein mag, indem ja der Hase, fast ganz ohne Schwanz, sich noch schneller zu wenden im Stande ist.

Zweitens dürften wir mitunter fälschlich Characteren eine große Wichtigkeit beilegen und irriger Weise glauben, daß sie von natürlicher Zuchtwahl herrühren. Wir dürfen durchaus nicht die directe Wirkung veränderter Lebensbedingungen übersehen, ebenso wenig die

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/235&oldid=- (Version vom 31.7.2018)