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Lichtes ist, wie Joh. Müller erklärt, selbst in dem vollkommensten aller Organe, dem menschlichen Auge, noch nicht vollständig. Helmholtz, dessen Urtheilsfähigkeit Niemand bestreiten wird, fügt, nachdem er in den kräftigsten Ausdrücken die wundervollen Kräfte des menschlichen Auges beschrieben hat, die merkwürdigen Worte hinzu: „Das was wir von Ungenauigkeit und Unvollkommenheit in dem optischen Apparate und in dem Bilde auf der Netzhaut entdeckt haben, ist nichts im Vergleich mit der Ungenauigkeit, der wir soeben auf dem Gebiete der Empfindungen begegnet sind. Man könnte sagen, daß die Natur daran ein Gefallen gefunden hat, Widersprüche zu häufen, um alle Grundlagen zu einer Theorie einer präexistirenden Harmonie zwischen der äußeren und inneren Welt zu beseitigen.“ Wenn uns unsere Vernunft zu begeisterter Bewunderung einer Menge unnachahmlicher Einrichtungen in der Natur auffordert, so lehrt uns auch diese nämliche Vernunft, daß, trotzdem wir leicht nach beiden Seiten irren können, andere Einrichtungen weniger vollkommen sind. Können wir den Stachel der Biene als vollkommen betrachten, der wenn er einmal gegen die Angriffe von mancherlei Thieren angewandt wird, den unvermeidlichen Tod seines Besitzers bewirken muß, weil er seiner Widerhaken wegen nicht mehr aus der Wunde, die er gemacht hat, zurückgezogen werden kann, ohne die Eingeweide des Insects herauszureißen und so unvermeidlich den Tod des Insects nach sich zu ziehen?

Nehmen wir an, der Stachel der Biene sei bei einer sehr frühen Stammform bereits als Bohr- und Sägewerkzeug vorhanden gewesen, wie es häufig bei anderen Gliedern der Hymenopterenordnung vorkommt und sei für seine gegenwärtige Bestimmung (mit dem ursprünglich zur Hervorbringung von Gallenauswüchsen oder anderen Zwecken bestimmten, später verschärften Gifte) umgeändert aber nicht zugleich verbessert worden, so können wir vielleicht begreifen, warum der Gebrauch dieses Stachels so oft den eigenen Tod des Insects veranlaßt; denn wenn allgemein das Vermögen zu stechen der ganzen Bienengemeinde nützlich ist, so mag er allen Anforderungen der natürlichen Zuchtwahl entsprechen, obwohl seine Beschaffenheit den Tod der einzelnen Individuen veranlaßt, die ihn anwenden. Wenn wir über das wirklich wunderbare scharfe Witterungsvermögen erstaunen, mit dessen Hülfe manche Insectenmännchen ihre Weibchen ausfindig zu machen im Stande sind, können wir dann auch die für diesen einen Zweck

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/243&oldid=- (Version vom 31.7.2018)