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innern Oberfläche der Tasche höher entwickelt werden würden, als die übrigen, und dann würden sie eine Brustdrüse, vorläufig aber noch ohne Zitze dargestellt haben, wie wir es jetzt noch beim Ornithorhynchus, dem untersten Gliede der Säugethierreihe sehen. In Folge welcher Kraft die Drüsen auf einem bestimmten Oberflächentheile höher specialisirt wurden als die übrigen, will ich mir nicht zu entscheiden anmaßen, ob zum Theil durch Compensation des Wachsthums, oder durch die Wirkungen des Gebrauchs oder durch natürliche Zuchtwahl.

Die Entwickelung der Milchdrüsen würde von keinem Nutzen gewesen sein und hätte nicht durch natürliche Zuchtwahl bewirkt werden können, wenn nicht in derselben Zeit die Jungen fähig geworden wären, die Absonderung anzunehmen. Einzusehen, wie junge Säugethiere instinctiv gelernt haben, an der Brust zu saugen, bietet keine größere Schwierigkeit dar, als es einzusehen, woher die noch nicht ausgekrochenen Küchel es gelernt haben, die Eischalen durch das Klopfen mit ihrem speciell dazu angepaßten Schnabel zu durchbrechen, oder woher sie gelernt haben, wenig Stunden nach dem Verlassen der Eischale Körner zur Nahrung aufzupicken. In solchen Fällen scheint die wahrscheinlichste Lösung die zu sein, daß die Gewohnheit zuerst durch Übung auf einer späteren Altersstufe erlangt und später in einem früheren Alter auf die Nachkommen vererbt worden ist. Man sagt aber, das junge Känguruh sauge nicht, sondern hänge an der Zitze seiner Mutter, welche das Vermögen habe, Milch in den Mund ihrer hülflosen, halbgebildeten Nachkommen einzuspritzen. Über diesen Punkt bemerkt Mr. Mivart: „Wenn keine besondere Vorrichtung bestände, so müßte das Junge unfehlbar durch das Einströmen von Milch in die Luftröhre ersticken. Aber eine solche specielle Vorrichtung besteht. Der Kehlkopf ist so verlängert, daß er bis in das hintere Ende des Nasengangs hinaufreicht; hierdurch wird er in den Stand gesetzt, die Luft frei in die Lungen eintreten zu lassen, während die Milch, ohne zu schaden, auf beiden Seiten dieses verlängerten Kehlkopfs hinabläuft und so wohlbehalten den dahinter gelegenen Schlund erreicht.“ Mr. Mivart frägt dann, auf welche Weise die natürliche Zuchtwahl im erwachsenen Känguruh (und in den meisten anderen Säugethieren, nach der Annahme nämlich, daß sie von einer marsupialen Form abgestammt sind) „diese zum mindesten vollkommen unschuldige und unschädliche Structureigenthümlichkeit“ beseitige. Man kann wohl in Beantwortung hierauf vermuthen, daß die Stimme,

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/277&oldid=- (Version vom 31.7.2018)