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Anfang und am Ende ihrer Bildung gelebt haben. Es werden mehrere Fälle angeführt, wo dieselbe Art in andern Varietäten in den oberen als in den untern Theilen derselben Formation auftritt; so führt Trautschold eine Anzahl Beispiele von Ammoniten an, und Hilgendorf hat einen äußerst merkwürdigen Fall von zehn abgestuften Formen von Planorbis multiformis in den aufeinanderfolgenden Schichten einer schweizerischen Süßwasserformation beschrieben. Obwohl nun jede Formation ohne allen Zweifel eine lange Reihe von Jahren zu ihrer Ablagerung bedurft hat, so werden doch verschiedene Gründe bezeichnet werden können, warum sich solche Stufenreihen zwischen den zuerst und den zuletzt lebenden Arten nicht darin vorfinden; doch kann ich kaum den folgenden Betrachtungen das nöthige Gewicht beilegen.

Obwohl jede Formation einer sehr langen Reihe von Jahren entsprechen dürfte, so ist doch wahrscheinlich eine jede kurz im Vergleiche mit der zur Umänderung einer Art in die andere erforderlichen Zeit. Nun weiß ich wohl, daß zwei Paläontologen, deren Meinungen wohl der Beachtung werth sind, nämlich Bronn und Woodward, zu dem Schlusse gelangt sind, daß die mittlere Dauer einer jeden Formation zwei- bis dreimal so lang als die mittlere Dauer einer Artform ist. Indessen hindern uns, wie mir scheint, unübersteigliche Schwierigkeiten, in dieser Hinsicht zu einem richtigen Schlusse zu gelangen. Wenn wir eine Art in der Mitte einer Formation zum ersten Male auftreten sehen, so würde es äußerst übereilt sein, zu schließen, daß sie nicht irgendwo anders schon länger existirt haben könne. Ebenso, wenn wir eine Art schon vor den letzten Schichten einer Formation verschwinden sehen, würde es ebenso übereilt sein, anzunehmen, daß sie dann schon völlig erloschen sei. Wir vergessen, wie klein die Ausdehnung Europa’s im Vergleich zur übrigen Welt ist; auch sind die verschiedenen Etagen der einzelnen Formationen noch nicht durch ganz Europa mit vollkommener Genauigkeit parallelisirt worden.

Bei Seethieren aller Art können wir getrost annehmen, daß in Folge von climatischen und andern Veränderungen massenhafte und ausgedehnte Wanderungen stattgefunden haben; und wenn wir eine Art zum ersten Male in einer Formation auftreten sehen, so liegt die Wahrscheinlichkeit nahe, daß sie eben da zuerst in jenes Gebiet eingewandert war. So ist es z. B. wohl bekannt, daß einige Thierarten in den paläozoischen Bildungen Nord-America’s etwas früher als in den

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/390&oldid=- (Version vom 31.7.2018)