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Die alte Meinung, daß von Zeit zu Zeit sämmtliche Bewohner der Erde durch große Umwälzungen von der Erde weggefegt worden seien, ist jetzt ziemlich allgemein und selbst von solchen Geologen, wie Elie de Beaumont, Murchison, Barrande u. A. aufgegeben, deren allgemeinere Anschauungsweise sie auf dieselbe hinlenken müßte. Wir haben im Gegentheil nach den über die Tertiärformationen angestellten Studien allen Grund zur Annahme, daß Arten und Artengruppen ganz allmählich eine nach der andern zuerst von einer Stelle, dann von einer andern und endlich überall verschwinden. In einigen wenigen Fällen jedoch wie beim Durchbruch einer Landenge und der nachfolgenden Einwanderung einer Menge von neuen Bewohnern in ein benachbartes Meer, oder bei dem endlichen Untertauchen einer Insel mag das Erlöschen verhältnißmäßig rasch vor sich gegangen sein. Einzelne Arten sowohl als Artengruppen dauern sehr ungleich lange Zeiten; einige Gruppen haben, wie wir gesehen haben, von der ersten bekannten Wiegenzeit des Lebens an bis zum heutigen Tage bestanden, während andere nicht einmal den Schluß der paläozoischen Zeit erreicht haben. Es scheint kein bestimmtes Gesetz zu geben, welches die Länge der Dauer einer einzelnen Art oder einer einzelnen Gattung bestimmte. Doch scheint Grund zur Annahme vorhanden, daß das gänzliche Erlöschen einer ganzen Gruppe von Arten gewöhnlich ein langsamerer Vorgang als ihre Entstehung ist. Wenn man das Erscheinen und Verschwinden der Arten einer Gruppe ebenso wie im vorigen Falle durch eine Verticallinie von veränderlicher Dicke ausdrückt, so pflegt sich dieselbe weit allmählicher an ihrem oberen dem Erlöschen entsprechenden, als am untern die Entwickelung und Zunahme an Zahl darstellenden Ende zuzuspitzen. Doch ist in einigen Fällen das Erlöschen ganzer Gruppen von Wesen, wie das der Ammoniten gegen das Ende der Secundärzeit, den meisten andern Gruppen gegenüber, wunderbar plötzlich erfolgt.

Die ganze Frage vom Erlöschen der Arten ist ohne Grund in das geheimnisvollste Dunkel gehüllt worden. Einige Schriftsteller haben sogar angenommen, daß Arten geradeso wie Individuen eine regelmäßige Lebensdauer haben. Durch das Verschwinden der Arten kann wohl Niemand mehr in Verwunderung gesetzt worden sein, als ich selbst. Als ich im La Plata-Staate einen Pferdezahn in einerlei Schicht mit Resten von Mastodon, Megatherium, Toxodon und andern ausgestorbenen Ungeheuern zusammenliegend fand, welche sämmtlich noch

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/414&oldid=- (Version vom 31.7.2018)