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gebracht werden könnten, die ersteren unterliegen und von den letzteren vertilgt werden würden, ebenso wie eine secundäre Fauna von der eocenen und eine paläozoische von der secundären überwunden werden würde. Der Theorie der natürlichen Zuchtwahl gemäß müßten demnach die neuen Formen ihre höhere Stellung den alten gegenüber nicht nur durch diesen fundamentalen Beweis ihres Siegs im Kampfe um’s Dasein, sondern auch durch eine weiter gediehene Specialisirung der Organe bewähren. Ist dies aber wirklich der Fall? Eine große Mehrzahl der Paläontologen würde dies bejahen; und es scheint, daß man diese Antwort wird für wahr halten müssen, wenn sie auch schwer ordentlich zu beweisen ist.

Es ist kein gültiger Einwand gegen diesen Schluß, daß gewisse Brachiopoden von einer äußerst weit zurückliegenden geologischen Periode an nur wenig modificirt worden sind, und daß gewisse Land- und Süßwassermollusken von der Zeit an, wo sie, so weit es bekannt ist, zuerst erschienen, nahezu dieselben geblieben sind. Auch ist es keine unüberwindliche Schwierigkeit, daß Foraminiferen, wie Carpenter betont hat, selbst von der Laurentischen Formation an in ihrer Organisation keinen Fortschritt gemacht haben; denn einige Organismen müssen eben einfachen Lebensbedingungen angepaßt sein, und welche paßten hierfür besser, als jene niedrig organisirten Protozoen? Derartige Einwände wie die obigen würden meiner Ansicht verderblich sein, wenn sie einen Fortschritt in der Organisation als wesentliches Moment enthielte. Es würde auch meiner Theorie verderblich sein, wenn z. B. nachgewiesen werden könnte, daß die eben genannten Foraminiferen zuerst während der Laurentischen Epoche, oder die erwähnten Brachiopoden zuerst in der cambrischen Formation aufgetreten wären; denn wenn dies bewiesen würde, so wäre die Zeit nicht hinreichend gewesen, um die Organismen bis zu dem dann erreichten Grade entwickeln zu lassen. Einmal bis zu einem gewissen Punkt fortgeschritten, ist nach der Theorie der natürlichen Zuchtwahl keine Nöthigung vorhanden, den Proceß noch fortdauern zu lassen; dagegen werden sie während jedes folgenden Zeitraumes leicht modificirt werden müssen, um ihre Stellung im Verhältnis zu den ändernden Lebensbedingungen behaupten zu können. Alle solche Einwände drehen sich um die Frage, ob wir wirklich wissen, wie alt die Welt ist und in welchen Perioden die verschiedenen Lebensformen zuerst erschienen sind; und dies dürfte wohl bestritten werden.

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/432&oldid=- (Version vom 31.7.2018)