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Wenn man aber die Nestlinge dieser verschiedenen Rassen in eine Reihe ordnet, so erscheinen, obwohl man die meisten derselben eben noch von einander unterscheiden kann, die Verschiedenheiten ihrer Proportionen in den genannten Beziehungen, unvergleichbar geringer, als in den erwachsenen Vögeln. Einige characteristische Differenzpunkte der Alten, wie z. B. die Weite des Mundspaltes, sind an den Jungen noch kaum zu entdecken. Ich fand nur eine merkwürdige Ausnahme von dieser Regel, indem die Jungen des kurzstirnigen Purzlers von den Jungen der wilden Felstaube und der andern Rassen in allen Maßverhältnissen fast genau ebenso verschieden waren, wie im erwachsenen Zustande.

Die zwei oben aufgestellten Principien erklären diese Thatsachen. Liebhaber wählen ihre Pferde, Hunde und Tauben zur Nachzucht aus, wenn sie nahezu erwachsen sind. Es ist ihnen gleichgiltig, ob die verlangten Bildungen und Eigenschaften früher oder später im Leben zum Vorschein kommen, wenn nur das erwachsene Thier sie besitzt. Und die eben mitgetheilten Beispiele insbesondere von den Tauben zeigen, daß die characteristischen Verschiedenheiten, welche den Werth einer jeden Rasse bedingen und durch künstliche Zuchtwahl gehäuft worden sind, nicht allgemein in einer frühen Lebensperiode zum Vorschein gekommen und auch erst in einem entsprechenden späteren Lebensalter auf die Nachkommen vererbt sind. Aber der Fall mit dem kurzstirnigen Purzler, welcher schon in einem Alter von zwölf Stunden seine eigenthümlichen Maßverhältnisse besitzt, beweist, daß dies keine allgemeine Regel ist; denn hier müssen die characteristischen Unterschiede entweder in einer früheren Periode als gewöhnlich erscheinen, oder wenn nicht, statt in dem entsprechenden in einem früheren Alter vererbt worden sein.

Wenden wir nun diese zwei Principien auf die Arten im Naturzustande an. Nehmen wir eine Vogelgruppe an, die von irgend einer alten Form herkommt und durch natürliche Zuchtwahl für verschiedene Lebensweisen modificirt worden ist. Dann werden in Folge der vielen successiven kleinen Abänderungsstufen, welche in einem nicht frühen Alter eingetreten sind und sich in entsprechendem Alter weiter vererbt haben, die Jungen nur wenig modificirt bleiben und sich einander mehr zu gleichen geneigt sein, als es bei den Alten der Fall ist, gerade so wie wir es bei den Tauben gesehen haben. Wir können diese Ansicht auf sehr verschiedene Bildungen und auf ganze Classen ausdehnen.

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 530. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/540&oldid=- (Version vom 31.7.2018)