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Hornmaterie auszuscheiden wieder erscheine, wie daß die Nagelstummel an den Ruderfüßen des Manati dazu bestimmt wären.

Nach meiner Annahme einer Fortpflanzung mit Abänderung erklärt sich die Entstehung rudimentärer Organe vergleichsweise einfach und wir können in ziemlich weitem Grade die ihre unvollkommene Entwickelung regelnden Gesetze einsehen. Wir kennen eine Menge Beispiele von rudimentären Organen bei unseren Culturerzeugnissen, wie den Schwanzstummel in ungeschwänzten Rassen, den Ohrstummel in ohrlosen Rassen bei Schafen, das Wiedererscheinen kleiner nur in der Haut hängender Hörner bei ungehörnten Rinderrassen und besonders nach Youatt, bei jungen Thieren derselben, und den Zustand der ganzen Blüthe im Blumenkohl. Oft sehen wir auch Stummel verschiedener Art bei Misgeburten. Aber ich bezweifle, daß einer von diesen Fällen geeignet ist, die Bildung rudimentärer Organe in der Natur weiter zu beleuchten, als daß er uns zeigt, daß Stummel entstehen können; denn wägt man die Beweise gegen einander ab, so erfolgt deutlich ein Ausschlag nach der Seite der Annahme hin, daß Arten im Naturzustande keinen großen und plötzlichen Veränderungen unterliegen. Aus dem Studium unserer Culturerzeugnisse lernen wir aber, daß der Nichtgebrauch der Theile zu einer Reduction ihrer Größe führt, und daß dieses Resultat vererbt wird.

Allem Anscheine nach hat hauptsächlich Nichtgebrauch die Organe rudimentär gemacht. Zuerst wird er in langsamen Schritten zu einer immer vollständigeren Reduction eines Theiles führen, bis er endlich rudimentär wird, so bei den Augen in dunklen Höhlen lebender Thiere, und bei den Flügeln oceanische Inseln bewohnender Vögel, welche selten durch Raubthiere zum Fliegen gezwungen werden und daher dieses Vermögen zuletzt gänzlich einbüßen. Ebenso kann ein unter gewissen Umständen nützliches Organ unter anderen Umständen sogar nachtheilig werden, wie die Flügel der auf kleinen und exponirten Inseln lebenden Insecten. In diesem Falle wird natürliche Zuchtwahl fortwährend dazu beigetragen haben, das Organ langsam zu reduciren, bis es unschädlich und rudimentär wird.

Eine jede Änderung im Bau und in den Verrichtungen, welche in unmerkbaren Abstufungen eintreten kann, liegt im Wirkungsbereiche der natürlichen Zuchtwahl; daher ein Organ, welches in Folge geänderter Lebensweise nutzlos oder nachtheilig für eine Bestimmung wird, abgeändert und für andere Verrichtungen verwendet werden

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/550&oldid=- (Version vom 31.7.2018)