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Historische Skizze der Fortschritte in den Ansichten über den Ursprung der Arten
(vor dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Werkes).




Ich will hier eine kurze Skizze von der Entwickelung der Ansichten über den Ursprung der Arten geben. Bis vor Kurzem glaubte die große Mehrzahl der Naturforscher, Arten seien unveränderliche Erzeugnisse und jede einzelne sei für sich erschaffen worden: diese Ansicht ist von vielen Schriftstellern mit Geschick vertheidigt worden. Nur einige wenige Naturforscher nahmen dagegen an, daß Arten einer Veränderung unterliegen und daß die jetzigen Lebensformen durch wirkliche Zeugung aus andern früher vorhandenen Formen hervorgegangen sind. Abgesehen von einigen, auf unsern Gegenstand zu beziehenden Andeutungen in den Schriftstellern des classischen Alterthums,[1] war Buffon der erste Schriftsteller, welcher in neuerer Zeit


  1. Aristoteles führt in den ‚Physicae auscultationes‘ (Buch 2, Cap. 8) die Ansicht des Empedokles an, daß der Regen nicht niederfalle, um das Korn wachsen zu machen, ebensowenig wie er falle, um das Korn zu verderben, wenn es unter freiem Himmel gedroschen wird, und wendet nun dieselbe Argumentation auf die Organismen an. Er fügt hinzu (Herr Clair Grece hat mich auf diese Stelle aufmerksam gemacht): „Was demnach steht dem im Wege, daß auch die Theile [des Körpers] in der Natur sich ebenso (zufällig) verhalten, daß z. B. die Zähne durch Nothwendigkeit hervorwachsen, nämlich die vordern schneidig und tauglich zum Zertheilen, hingegen die Backenzähne breit und brauchbar zum Zermalmen der Nahrung, da sie ja nicht um dessenwillen so werden, sondern dies eben nebenbei erfolgt: und ebenso auch bei den übrigen Theilen, bei welchen das um eines Zweckes willen Wirkende vorhanden zu sein scheint; und die Dinge dann nun, bei welchen alles Einzelne gerade so sich ergab, als wenn es um eines Zweckes willen entstünde, diese hätten sich, nachdem sie grundlos in tauglicher Weise sich gebildet hätten, auch erhalten; bei welchen aber dies nicht der Fall war, diese seien zu Grunde gegangen und giengen noch zu Grunde.“ [Acht Bücher Physik. Uebersetzt von Prantl. S. 89.] Wir finden hier zwar eine dunkle Ahnung des Princips der natürlichen Zuchtwahl bei Empedokles; wie weit aber Aristoteles selbst davon entfernt war, es völlig zu erfassen, zeigen seine Bemerkungen über die Bildung der Zähne.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/7&oldid=- (Version vom 31.7.2018)