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Gediehe eine Varietät derartig, daß sie die elterliche Species an Zahl überträfe, so würde man sie für die Art und die Art für die Varietät einordnen; oder sie könnte die elterliche Art verdrängen und ausmerzen; oder endlich beide könnten neben einander fortbestehen und für unabhängige Arten gelten. Wir werden jedoch nachher auf diesen Gegenstand zurückkommen.

Aus diesen Bemerkungen geht hervor, daß ich den Kunstausdruck „Species“ als einen arbiträren und der Bequemlichkeit halber auf eine Reihe von einander sehr ähnlichen Individuen angewendeten betrachte, und daß er von dem Kunstausdrucke „Varietät“, welcher auf minder abweichende und noch mehr schwankende Formen Anwendung findet, nicht wesentlich verschieden ist. Eben so wird der Ausdruck „Varietät“ im Vergleich zu bloßen individuellen Verschiedenheiten nur arbiträr und der Bequemlichkeit wegen benutzt.


Weit und sehr verbreitete und gemeine Arten variiren am meisten.

Durch theoretische Betrachtungen geleitet, glaubte ich, daß sich einige interessante Ergebnisse in Bezug auf die Natur und die Beziehungen der am meisten variirenden Arten darbieten würden, wenn ich alle Varietäten aus verschiedenen wohlbearbeiteten Floren tabellarisch zusammenstellte. Anfangs schien mir dies eine einfache Sache zu sein. Aber Herr H. C. Watson, dem ich für seinen werthvollen Rath und Beistand in dieser Beziehung sehr dankbar bin, überzeugte mich bald, daß dies mit vielen Schwierigkeiten verknüpft sei, was späterhin Dr. Hooker in noch bestimmterer Weise bestätigte. Ich behalte mir daher für ein künftiges Werk die Erörterung dieser Schwierigkeiten und die Tabellen über die Zahlenverhältnisse der variirenden Species vor. Dr. Hooker erlaubt mir noch hinzuzufügen, daß, nachdem er sorgfältig meine handschriftlichen Aufzeichnungen durchgelesen und meine Tabellen geprüft, er die folgenden Sätze für vollkommen wohl begründet halte. Der ganze Gegenstand aber, welcher hier nothwendig nur sehr kurz abgehandelt werden kann, ist ziemlich verwickelt, zumal Bezugnahmen auf den „Kampf um’s Dasein“, auf die „Divergenz der Charactere“ und andere erst später zu erörternde Fragen nicht vermieden werden können.

Alphons DeCandolle u. a. Botaniker haben gezeigt, daß solche Pflanzen, die sehr weit ausgedehnte Verbreitungsbezirke besitzen, gewöhnlich auch Varietäten darbieten, wie es sich ohnedies schon hätte

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/81&oldid=- (Version vom 31.7.2018)