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Denn Er hat auf der Wage den Äon gewogen,

37 Er hat die Stunden mit dem Maße gemessen
und nach der Zahl die Zeiten[1] gezählt[2].
Er stört sie nicht und weckt sie nicht auf,

bis das angesagte Maß erfüllt ist[3].

38 Ich antwortete und sprach: Herr, mein Gebieter, aber auch wir sind voller Sünden. 39 Wird nicht vielleicht unsertwegen die Tenne der Gerechten aufgehalten, um der Sünden der Erdenbewohner willen? 40 Er antwortete mir und sprach: Geh hin, frage die Schwangere, ob ihr Schoß, wenn ihre neun Monate um sind, noch das Kind bei sich behalten kann? 41 Ich sprach: Gewiß nicht, Herr. Er sprach zu mir: Die Wohnungen der Seelen[4] im Hades sind dem Mutterschoße gleich; 42 denn wie ein gebärendes Weib der Schmerzen[5] der Geburt möglichst bald sich zu entledigen ’strebt‘[6], so streben auch sie darnach, möglichst bald das zurückzugeben, was ihnen im Anfang vertraut ist. 43 Dann wird man dir zeigen, was du zu schauen begehrst.

Das Ende kommt bald.

44 Ich antwortete und sprach: Wenn ich Gnade vor deinen Augen gefunden habe, wenn es möglich ist, und wenn ich dazu[7] fähig bin[8], 45 so zeige mir auch dies: ob noch längere Zeit, als schon vergangen ist, uns bevorsteht, oder ob wir bereits das Meiste hinter uns haben[9]? 46 Denn wieviel vergangen ist, weiß ich wohl[10]; aber die Zukunft kenne ich nicht. — 47 Er sprach zu mir: Tritt nach rechts, so will ich dir den Sinn eines Gleichnisses erklären. 48 Als ich nun hintrat, da sah ich, wie ein glühender Ofen an mir vorüberfuhr[11]; und als das Feuer vorüber war, sah ich, wie noch Rauch zurückblieb. 49 Darnach zog eine Wolke, voll Wassers, an mir vorüber; die ließ einen mächtigen Regenguß[12] herab. Als aber der Regenguß vorüber war, blieben noch einzelne Tropfen darin zurück. 50 Da sprach er zu mir: Nun überlege selbst: wie des Regens mehr ist[13] als der Tropfen und des Feuers mehr ist als des Rauchs, so ist das Maß der Vergangenheit bei Weitem größer gewesen; zurück aber sind nur noch geblieben — Tropfen und Rauch.



  1. Syr (Arm) hat Wechsel im Ausdruck.
  2. Weish. 11,20.
  3. Die Anschauung, daß die Zeiten von Gott im Voraus gezählt sind, spielt im Judentum eine große Rolle. Diese Anschauung von der Prädestination des Weltlaufs ist die Grundlage der weltgeschichtlichen Periodisierungen und der Berechnungen des Endes. Diese ganze Betrachtung hängt urspr. mit Astronomie zusammen und ist wie vieles Andere im Judentum fremdländischen Ursprungs. — Das angesagte Maß: angesagt den Propheten (und Apokalyptikern). Auch dieser Ausdruck ist unbestimmt, vgl. oben zu V. 36; konkret ist dies „Maß“ die Weltära (von 7000 Jahren).
  4. Nach dem Zusammenhang: der noch nicht geborenen Seelen.
  5. ἀνάγκη= צְרָה; Volkmar.
  6. Im hebräischen Impf.
  7. Es zu begreifen.
  8. So ist der Verfasser durch die vorhergehenden Abweichungen vorsichtig geworden.
  9. Diese Frage ist streng genommen bereits in 4,26 im Voraus beantwortet. Die Wiederholung der Frage, die 5,5-55 nochmals begegnet, erklärt sich aus dem religiösen Interesse des Apokalyptikers (vgl. die Einleitung S. 336f.), zugleich aber daraus, daß er hier wie 5,50ff. bereits geformte Stoffe aufnimmt. Ebenso werden mehrfach aus verschiedenen Traditionen die „Zeichen der Zeit“ angegeben: 4,51-5,12. 6,11-28 und andererseits die der Sache nach völlig von vorn einsetzende Aufzählung 9,3f. — Eine ähnliche Frage wie die obige findet sich in der Oratio Moysi, Texts and Studies II,3, S. 172: ostende mihi, quanta quantitas temporis transiit, et quanta remansit.
  10. Aus der biblischen Chronologie.
  11. Ofen und Rauch im Gesichte auch Gen. 15.
  12. ὑετὸν ὁρμῇ πολύν Hilg.
  13. πλεονάζει Volkmar.
Empfohlene Zitierweise:
Hermann Gunkel (Übersetzer): Das vierte Buch Esra. Mohr Siebeck, Tübingen 1900, Seite 358. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasVierteBuchEsraGermanGunkelKautzsch2.djvu/28&oldid=- (Version vom 30.6.2018)