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8 An vielen Orten[1] thut sich der Abgrund auf[2],
und lange Zeit bricht das Feuer[3] hervor.

Da verlassen die wilden Tiere ihr Revier. Weiber gebären Mißgeburten[4]. 9 Im süßen Wasser findet sich salziges[5]. Freunde bekämpfen einander plötzlich[6].

Da verbirgt sich die Vernunft,

und die Weisheit flieht in ihre Kammer[7];

10 viele suchen sie und finden sie nicht.

Der Ungerechtigkeit aber und Zuchtlosigkeit wird viel sein auf Erden. 11 Dann fragt ein Land das andere und spricht: Ist etwa die Gerechtigkeit, die[8] das Rechte thut, durch dich gekommen? und es wird antworten: nein[9]!

12 In jener Zeit werden die Menschen hoffen und nicht erlangen,
sich abmühen und nicht zum Ziele kommen[10]. —

13 Diese Zeichen dir zu sagen, ist mir erlaubt worden; wenn du aber nochmals betest und wie heute weinst und sieben Tage lang fastest[11], wirst du aufs Neue Dinge erfahren, die größer sind als diese[12].

Schluß

14 Da erwachte[13] ich: mein Leib schauderte gewaltig, und meine Seele ward ohnmächtig vor Ermattung[14]. 15 Aber der Engel, der mir erschienen war, der mit mir[15] sprach, hielt mich fest, stützte mich und stellte mich auf die Füße[16].

16 In der folgenden Nacht aber kam der Fürst des Volkes, Phaltiel[17], zu mir und sprach zu mir: Wo warst du? Weshalb ist dein Antlitz so verstört? 17 Oder weißt du nicht, daß Israel im Lande seiner Verbannung dir anvertraut ist? 18 Steh also auf, iß ’einen Bissen‘[18] Brot und laß uns nicht im Stich, dem Hirten gleich, der seine Herde den bösen Wölfen preisgiebt! 19 Ich sprach zu ihm: Verlaß mich und komm vor sieben Tagen nicht wieder; wenn du dann zurückkehrst, ’will ich dir Aufschluß geben‘[19]. Als er dies hörte, verließ er mich.




    Vgl. Dan. 10,7. Joh. 12,28f.

    dasselbe gilt von den Tieren des Feldes V. 8. Ähnliches kann man noch heute in volkstümlichen Beschreibungen von Erdbeben, Bergrutschen u. dergl. lesen.

    Meeresgebrüll gehört auch sonst zu den Zeichen des Endes; letzter Nachklang eines uralten Motivs.

    ἐκφέρειν = הוֹצׅיא, vgl. Rönsch S. 361f.

    Sonst hat es keine; vgl. Hes. 47,8ff.

  1. κατὰ πολλοὺς τόπους Hilg.
  2. Das ewig mit Nacht und Grausen Bedeckte wird sichtbar!
  3. Das Feuer des Abgrunds, Offenb. Joh. 9,2.
  4. Lat menstruatae monstra doppelte LA.; vgl. Wellhausen, G. G. A. 1896, S. 11; vgl. Aeth (Ar²) et nascetur prodigium ex mulieribus.
  5. Die Stelle kehrt wieder in den (christlichen) Paralipomena Jeremiae prophetae (ed. Ceriani) 9,16 τὰ γλυκέα ὕδατα ἁλμυρὰ γενήσονται.
  6. Syr Aeth subito Wellhausen.
  7. Solche Redeweisen von der Weisheit, dem Glauben, der Buße, den guten Werken als Hypostasen sind im Judentum sehr häufig und finden sich auch im N. T. 1 Kor. 2, 9. Eph. 2, 10. Sie erklären sich im letzten Grunde daraus, daß an die Stelle ursprünglicher mythologischer Figuren später Abstraktionen getreten sind; vgl. den Geist Gottes Gen. 1, die Weisheitsspekulationen im A. T. und bes. die mythologischen Spekulationen im Gnosticismus.
  8. Syr (Aeth) schiebt aut homo ein, wie es scheint, um die mythologisierende Redeweise ein wenig zu mildern. Der Lat hat das Ursprüngliche, vgl. 3 Esra 4,39, wo es von „der Wahrheit“ heißt, daß sie τὰ δίκαια ποιεῖ.
  9. Amos 6,10.
  10. Etwa וְלֹא יְיַשְּׁרוּ דַרְכָּם.
  11. Das Fasten ist die Vorbereitung für den Empfang der Offenbarungen.
  12. Der Genetiv bei dem Komparativ nach griech. Art ist im 4 Esra Lat nicht selten; vgl. Bensly, Missing Fragment S. 88.
  13. Den vorhergehenden Zustand vergleicht also der Verf. mit dem Schlaf; psychologisch interessant.
  14. ἔκαμεν εἰς τὸ ἐκλιπεὶν Hilg.
  15. ἐν ἐμοί בּׅי;, vgl. Hab. 2, 1 u. a.
  16. Zu dieser Scene vgl. Dan. 8,17f. 10,8-10. 15-18.
  17. פַלְטִיאֵל Φαλτιήλ.
  18. Syr paululum panis = γεῦσαι ἄρτου τινός Hilg.
  19. Syr (Aeth Ar¹) et annunciabo tibi verba.
Empfohlene Zitierweise:
Hermann Gunkel (Übersetzer): Das vierte Buch Esra. Mohr Siebeck, Tübingen 1900, Seite 360. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasVierteBuchEsraGermanGunkelKautzsch2.djvu/30&oldid=- (Version vom 30.6.2018)