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Das Ausland. 1,2.1828

würden noch früher vor diesen Hauptstädten seyn, wenn sie den Weg über Posen und Krakau nähmen. Jener Grenzenvorsprung Rußland trennt die Heere Oestreichs und Preußens, umgibt und nimmt die Hälfte ihres Gebiets in den Rücken. Ein anderer Vorsprung, von Bessarabien gebildet, umfaßt die Grenzen Ungarns und Siebenbürgens. Endlich ist Moskau, die wahre Hauptstadt Rußlands, von Constantinopel nicht weiter entfernt als von Passau und Hamburg, Städte, welche oft von seinen Heeren durchzogen wurden.

Die Russen, die 1696 noch ziemlich entfernt vom finnischen Meerbusen waren, haben allmälig einen großen Theil des baltischen an sich gezogen. Sie berührten noch nicht das schwarze Meer; nun besitzen sie die Hälfte desselben. Nur hundert Stunden liegen ihre Küsten von Constantinopel, und eine Ueberfahrt von wenigen Stunden trägt dahin die Eskadern von Sebastopol. In Asien hat es Georgien erobert, und stößt an Armenien so wie an Persien. Die Schifffahrt des caspischen Meeres ist vollständig in seine Hand gegeben. Von hier sind es noch fünfhundert Stunden nach Ostindien. [1] Gegen den Orient umfaßt Rußland den ganzen obern Theil Asiens. Während es an den atlantischen Ocean und das Eismeer stoßt, besitzt es eine weite Küstenstrecke im nördlichen Amerika. Auf allen diesen Küsten hat es Häfen, Militär- und See-Colonien. Auf der Westküste Amerikas wie auf der Ostküste Asiens gewinnen seine Schiffe den Vorrang vor denen des übrigen Europas. Endlich kann es Escadern bauen und ausrüsten in Ländern, wohin die Engländer, ferne am nördlichen Ende des atlantischen Meeres wohnend, nur nach langer Ueberfahrt gelangen. Indem so Rußland das Centrum des alten Continents inne hat, das Eis-, so wie das Südmeer begrenzt, berührt es die Hauptquellen des Welthandels. Man kann also wohl sagen, daß England und Rußland um Erde und Meer rivalisiren.

Das Reich der Czaren, das mehr als die Hälfte der Oberfläche Europa’s, den neunten Theil des Festlandes, den achtzehnten der Erde einschließt, zählt nur 48 Millionen europäischer Bevölkerung, und 678 Individuen auf eine Quadratmeile. Die Massen der Einwohner sind auf einem Raume von geringer Ausdehnung vertheilt, um Moskau, in den obern Gegenden der Wolga, des Borysthenes und in den westlichen Provinzen. Dieß ist der wirkliche Mittelpunkt der russischen Macht. Das Uebrige sind Wüsten von hundert Stunden, mit einigen tausend Einwohnern, gleich Colonien, deren Zahl zu vergrößern ziemlich gleichgültig ist. Nur gegen Westen hat Rußland Nachbarn, die es zu fürchten braucht; sonst ist es überall von Völkern umgeben, die ihm keine Besorgniß einflößen können. Die Ausdehnung und Entfernung bietet in diesen Gegenden keine Schwierigkeiten dar; sie verschwindet gleichsam durch die Ebenen, wo die Befehle so schnell durch Telegraphen und Courriere weiter befördert werden, und wo die Transporte im Sommer auf den Kanälen, im Winter auf dem Eise fast mit gleicher Leichtigkeit stattfinden. Diese Umstände machen die Zerstücklung des jetzigen Rußlands äußerst schwierig und rücken sie auf jeden Fall sehr weit hinaus. Zerstückelungen der äußersten Theile würden diese zu schwach lassen rücksichtlich der einem selbstständigen Lande nöthigen großen Basen der Bevölkerung, der Produkte und des Reichthums.

(Fortsetzung folgt.)



Die Kalmücken.


(Fortsetzung.)

Ueber den Kasten stand ein hölzernes Gehäus mit einer schön geformten stark vergoldeten Figur des Schagdschamuni. Rechts vom fürstlichen Lager befand sich ein ähnlicher ebenfalls mit einem persischen Teppich bedeckter Stoß von Kasten, auf denen noch einige Schmuckkästchen der Fürstin standen. Diese Kasten mochten die Effekten der fürstlichen Familie enthalten, so wie die links geistliche Schriften, Heiligenbilder und und andere Gegenstände des Altars. In der Mitte des Zelts befand sich ein Feuerheerd mit einem Dreifuß und einem gemeinen Theekessel; links von der Thüre eine Anzahl hölzerner Kübel und Kannen, mit messingnen Reifen zierlich beschlagen: diese enthielten das Hauptnahrungsmittel der Kalmücken in dieser Jahrszeit, nemlich den Tschigan, d. i. gesäuerte Pferdemilch.

Aerdäni las das Schreiben wiederholt bedächtig durch, fragte uns sodann nach unsern Namen und über nähern Zweck unsrer Reise, über welchen wir ihm die möglich beste Auskunft zu geben suchten. Nachdem er uns mit kalmück’schem Thee [2] und Tschigan bewirthet hatte, empfahlen wir uns für dießmal und kehrten nach unsern Wagen zurück.


  1. Die Entwürfe Rußlands gegen Ostindien sind keineswegs bloße Chimären. Chatarina, Napoleon, Alexander haben sich mit diesem Gedanken beschäftigt. Die Plane wurden entworfen. Die Armeen sollten sich auf der Dona, dem Don, der Wolga einschiffen, über das caspische Meere nach Asterabad setzen, von wo sie in zwei Monaten an den Ufern des Indus angekommen wären. Die Russen könnten ihre Expedition durch Escadern unterstützen, die von dem Meere von Ochotsk ausliefen, und die, um das Cap Comorin zu erreiche, blos etwas weiter als die Hälfte des Wegs zu machen hätten, welche die von den Häfen Europa’s ausgehenden Schiffe zu durchlaufen haben. Anm. des Verf.
    Ueber die Schwierigkeiten, die nach der Ansicht eines sehr unterrichteten Engländers, ein Einfall in Indien hätte, vergleiche man den in Num. 20 und den folgenden Blättern des Auslandesenthaltenen Aufsatz: „Von dem muthmaßlichen Erfolge einer Invasion in Indien“. Anm. d. Red.
  2. Der kalmück’sche Thee wird von einer in Europa unbekannten groben Sorte chinesischen Thees bereitet, welche aus den größten Blättern und Zweigen des Theestrauchs besteht und in der Form gepreßter, sechszehn Zoll langer, acht Zoll breiter und über ein Zoll dicker Tafeln über Sibirien eingeführt wird. Von diesen Tafeln wird ein wenig mit dem Messer abgeschnitzt und in Wasser abgekocht, wozu noch Butter oder Fett von den Fettschwänzen der Schafe, etwas Salz und zuweilen auch Milch gethan wird. Ehe letztere Zuthaten in den Kessel kommen, wird mit einem an eisernem Stil befestigten Beutel in Gestalt eines Hanens der Satz des Thees herausgenommen, welcher das nächste Mal wiederum dem frischen Thee beigefügt wird. Der zubereitete Thee wird alsdann mit einem hölzernen Schöpfer aus dem Kessel geschöpft, in die hier gebräuchlichen hölzernen Schalen oder Näpfe gefüllt und so getrunken. Statt des Tschigans bedienen sich die ärmern Kalmücken des Aivacks, von Kuhmilch. Fleisch kommt fast nur in die Kessel der Reichen. Im Winter, wo die Milch mangelt, wissen sich die Kalmücken von den Wolga-Russen Mehl zu verschaffen, von welchem sie einen dünnen Brei, Bundän, kochen.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_476.jpg&oldid=- (Version vom 28.4.2023)